Digital Assets Briefing
Welche Eigenschaften haben digitale Notenbankwährungen, mit denen weltweit experimentiert wird? Und welche Chancen und Gefahren gehen von ihnen aus? Krypto-Expertin Ashley Oerth schätzt ein.
4. August 2023 • Werner Grundlehner

Digitale Währungen der Zentralbanken sind auf dem Vormarsch. Central Bank Digital Currencies (CBDCs) sind eine digitale Form von Fiatgeld, die von der Regierung ausgegeben und der Notenbank des Landes unterstützt wird. Wholesale CBDCs werden von Finanzinstituten für die Abwicklung von Transaktionen untereinander verwendet. Retail CBDCs sind für den alltäglichen Gebrauch der Einwohner konzipiert.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• SEC: «Alle Kryptos ausser Bitcoin dekotieren»
• Litecoin Halving noch ohne Wirkung


Tippinpoint.ch hat sich mit Ashley Oerth über die «neue» Notenbankwährung unterhalten. Ashley Oerth ist Senior Investment Strategy Analyst für das Global Market Strategy Team bei Invesco. In dieser Funktion entwickelt und kommuniziert sie Wirtschaftsprognosen und Investmenteinblicke. Oerth kam zu Invesco, als sich das Unternehmen 2019 mit OppenheimerFunds zusammenschloss.

Frau Oerth, ich nehme an, Invesco sieht Potential in Central Bank Digital Currencies, wenn Sie sich als Expertin damit beschäftigen. Wie können sich Investoren in diesem Segment engagieren?

Ashley Oerth: Wir haben wegen zunehmendem Kundeninteresses im Jahr 2017 begonnen, uns mit Kryptowährungen zu beschäftigen. Das erwies sich im Boommarkt der Jahre 2020 bis 2022 als sehr hilfreich. Man muss zudem unterscheiden zwischen Privat- und institutionellen Kunden; die Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich. Ich befasse mich aber aus einem anderen Grund mit CBDC. Ich versuche, den makroökonomischen Einfluss dieser Notenbank-Währungen auf die Geldpolitik abzuschätzen. Ich bin also weniger am Investment-Case interessiert, den es für Privatanleger bei CBDC höchstwahrscheinlich gar nicht gibt.

Welchen Vorteil haben Notenbanken, wenn sie mit den angeschlossenen Finanzinstituten über CBDC abrechnen, es bestehen ja bereits effiziente digitale Systeme?

Das fragen sich die Notenbanker wohl teilweise auch selbst. Es wird vor allem viel ausprobiert. Die einzelnen Zentralbanken wollen nicht zurückfallen. Noch ist kaum abschätzbar, was der Mehrwert sein wird. Dies könnte die Inklusion von bisher aus dem System Ausgeschlossenen, ein geringeres Gegenparteirisiko oder ein schnelleres Settlement von Zahlungen sein. Ein Beispiel: Es bräuchte nicht mehr zwei Arbeitstage, um eine Zahlung von einer Bank zur anderen vorzunehmen. Es gibt zahlreiche weitere Vorteile, die aber noch nicht genau definiert sind. Dabei könnten die Währungen etwa auch tokenisiert werden, aber nicht notwendigerweise auf Basis der Blockchain. Es gibt zahlreiche Risiken: So dürften Bankruns noch schneller ablaufen und es besteht die Gefahr, dass Finanzintermediaton und damit bestimmte Teilnehmer des Finanzsystems ins Abseits geraten könnten.

Welchen Einfluss wird die Einführung von CBDCs für die Geschäftsbanken haben?

Die Einführung von CBDCs wird am Geschäftsmodell von bestehenden Finanzinstituten mittelfristig wohl wenig ändern. Für Kunden und Mitarbeiter sind die beschleunigten Abläufe kaum spürbar. Die Finanzinfrastruktur würde wahrscheinlich aktualisiert und Vermögenswerte würden tokenisiert. Vor allem letzteres könnte neue Geschäftsmodelle für Fintechs eröffnen.

Aber würde es die Notenbankpolitik effizienter machen?

Mittels eines Wholesale CBDC liesse sich etwa Kapitaldeckungen schneller und einfacher zwischen Banken verschieben, umgekehrt besteht wie bereits erwähnt die Gefahr, dass es zu digitalen Bankruns kommt – und diese könnten noch beschleunigt werden. Hätte die Schweizerische Nationalbank beispielsweise ihre Devisentransaktionen mit CBDC schneller tätigen und rascher eine Wirkung auf den Frankenkurs erzielen können. Wir sind überzeugt, dass die SNB gar nicht schnell verkaufen will, sondern gestaffelt, um den Markt nicht zu beunruhigen und die Preise nicht abrupt zu beeinflussen. In diesem Kontext ändern CBDCs nichts, ausser dass die Devisentransaktionen wahrscheinlich günstiger hätten abgewickelt werden können.

Was würde sich für die Bevölkerung verändern, wenn die Notenbanken CBDC einführen würden?

Ich gehe davon aus, dass Notenbanken der grössten Industrieländer höchstwahrscheinlich nur Wholesale CBDC einführen werden. Diese hätten kaum Auswirkungen auf die meisten Bürger. Vielleicht würden Anleihen tokenisiert emittiert und könnten schneller abgerechnet werden.

Eine digitale Fiat-Währung, die von Finanzinstituten verwendet wird, könnte dieses System verändern und zu Innovationen führen.

Gegen Retail CBCDs, also digitale Konten der Bürger direkt bei der Zentralbank, gibt es einen starken Widerstand. Denn die Notenbank würde damit die vollständige Kontrolle über die Vermögen der Bürger erhalten.

China hat mit dem E-Yuan bereits eine Art Retail CBCD eingeführt, wie sind die Erfahrungen.

Die chinesische Gesellschaft ist ganz anders organisiert als die westlichen, was sich auf die Gestaltung des CBDC auswirkt. Es handelt sich um einen Versuch. Die chinesische Zentralbank scheint auch einen Teil des digitalen Zahlungsverkehrs behalten zu wollen, der schon zu grossen Teilen zu Anbietern wie Alipay und Wechat abgewandert ist. Der Westen schaut gespannt auf China, aber es bestehen dort ganz andere Voraussetzungen. Zudem gehen die chinesischen Behörden langsam und vorsichtig mit einer streng limitierten CBDC-Menge vor. Oft kann ein Staat, der eine zentrale Rolle in der Wirtschaft spielt, solche Unternehmungen besser kontrollieren.

Grundsätzlich können sich erst entwickelnde Volkswirtschaften digitale Notenbankwährungen viel einfacher einführen, weil es weniger Finanzintermediäre gibt und daher das Finanzsystem durch CBDCs weniger umgewälzt wird. Kleinere Länder – vor allem Entwicklungsländer – haben viel mehr Spielraum. Je kleiner man ist, desto wendiger kann man sein. Das haben kleine Staaten in Mittelamerika und Asien und Afrika mit der Einführung von CBDCs bereits bewiesen.

Können die US-Behörden ihre Ablehnung von Kryptowährungen aufrechterhalten und gleichzeitig CBDC für Banken und später für Privatpersonen einführen?

Private Kryptowährungen und CBDCs beruhen im Allgemeinen auf der gleichen Technologie und Idee. Ein Staat kann eine CBDC einführen, ohne gleichzeitig Kryptowährungen zu erlauben. Das Ziel dabei ist, eine tokenisierte Fiat-Währung zuzulassen, um neue Anwendungen zu ermöglichen. Hier ist auch festzuhalten, dass eine CBDC nicht mit einem Stable Coin gleichzusetzen ist. CBDC ist ein Zahlungsversprechen, für welches die Notenbank haftet, ähnlich wie bei Bargeld. Stable Coins dagegen werden in der Regel durch Fiat-Währungen oder auf dieselbe Währung lautende Reserveaktiva gedeckt.

Was sind die Verbindungen zwischen Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum, Cardano und CBDC?

Wenn ich Bitcoin kaufe, muss ich eine Fiat-Währung wie Dollar auf ein Tauschkonto einzahlen. Ich könnte auch Stable Coins anstelle von Dollar verwenden. Diese könnten zukünftig durch CBDC ersetzt werden, was den Tausch effizienter und günstiger machen würde. Die Notenbanken werden aus unserer Sicht nicht zulassen, dass private Kryptowährungen dominant werden, denn sie wollen die Kontrolle über die Geldpolitik behalten.

CBDC ist vor allem eine Reaktion. Die Notenbanken reagieren auf den Erfolg der Kryptowährungen. Mittlerweile scheinen die USA auch eine Beschleunigung der Entdollarisierung des globalen Währungssystems mit CBDC zu fürchten. Es existiert die Angst, dass Staaten wie Indien, Brasilien, Russland, Saudi-Arabien und China mit eigenen CBDCs den Dollar als globale Verrechnungswährung ablösen könnten.



Short cuts: News aus der digitalen Welt

SEC: «Alle Kryptos ausser Bitcoin dekotieren»

In einem Interview mit der «Financial Times» vom 31. Juli sagte Coinbase-Chef Brian Armstrong, dass die US-Börsenaufsicht SEC kurz vor ihrer Klage vom 13. Juni seine Börsenplattform aufgefordert habe, fast 250 Token zu dekotieren. Die SEC soll damals gesagt haben, «jeder andere Vermögenswert ausser dem Bitcoin ist ein Wertpapier». Coinbase-Vertreter habe geantwortet, dass sie das Gesetz anders interpretieren.
Im Anschluss verklagte die SEC Coinbase, weil das Unternehmen als nicht registrierte Börse tätig sei. Zudem wurden 13 Kryptowährungen genannt, die Coinbase mutmasslich als nicht registrierte Wertpapiere anbietet. Einige Tage zuvor hat die Regulierungsbehörde eine ähnliche Klage gegen Binance eingereicht. Der SEC-Vorsitzende Gary Gensler, verfolgt diese Stossrichtung schon länger. In einem Interview mit dem «New York Magazine» im Februar 2023 beharrte er darauf, dass «alles ausser Bitcoin» ein Wertpapier ist, für das die SEC zuständig sei.


Litecoin Halving noch ohne Wirkung

Das Litecoin-Halving ist geschafft, aber die erwartete Kursbewegung ist noch nicht eingetreten. Ist das ein schlechtes Omen für das Bitcoin-Halving im kommenden Jahr? Die Reduzierung der «Belohnung» für die Miner in einer Proof-of-Work-Blockchain führte in der Vergangenheit meist zu einem Kurssprung nach oben. Denn das Mining wird weniger rentabel, das Angebot lässt nach – und es gibt keinen unmittelbaren Grund für eine Veränderung der Nachfrage. Das Litecoin ist nun Mitte Woche erfolgreich abgeschlossen worden, ab dem 6. August erhalten die Miner je geprüften Block nur noch 6,25 Litecoins. Der Kurs reagierte bisher nicht und auf Monatssicht ist die Kryptowährung um fast 20 Prozent eingebrochen. Ein Halving führt erfahrungsgemäss erst langfristig zu einer Kurssteigerung. Weil aber das Thema – gerade beim Bitcoin – viel präsenter ist, als bei den ersten Halvings, könnte es auch sein, dass der Markt beginnt diese Ereignisse bereits vorgängig einzupreisen.

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