Digital Assets Briefing
Wenn ein Computer autonom den anderen bezahlt, wird er wohl kaum Dollar oder Franken verwenden. Sondern digitales Geld. Bitmex-Gründer Arthur Hayes glaubt, dass der Bitcoin das Rennen machen wird. Und er hat eine genaue Vorstellung davon, wie hoch der Kurs klettern wird.
28. Juli 2023 • Werner Grundlehner

Künstliche Intelligenz (KI) hat Kryptowährungen als Hype-Anlagethema abgelöst. Beiden Technologien wird ein riesiges Potenzial vorhergesagt – und beide stecken noch in den Kinderschuhen. Es ist schwer abzuschätzen, welche Bereiche die neuen Technologien erobern werden. Aber schon viele IT-Spezialisten haben darauf hingewiesen, dass in einer Welt, in der künstliche Intelligenz Aufgaben selbständig erledigt, auch ein digitales Zahlungssystem erforderlich ist, das unabhängig von Menschen verwalteten Währungen funktioniert. Kein Wunder kommen da Blockchain-basierte digitale Währungen ins Spiel.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• Macht X den Dogecoin gross?
• Grosse Bitcoin-Transaktionen: Die Wale leben
• Google öffnet sich dem Web3



In einem Blogeintrag unter dem Titel «Massa» hat Arthur Hayes, der ehemalige CEO der Kryptobörse Bitmex, dargelegt, welche beträchtlichen Auswirkungen die KI-Revolution auf den Bitcoin-Kurs haben wird. Miteinander kommunizierende Maschinen und Programme wie ChatGPT werden gemäss Hayes Bitcoin (oder Ethereum) nutzen, um Wertschöpfung zu organisieren. Hayes quantifiziert diesen KI-Bedarf nach digitalem Geld ziemlich genau, er sieht den Bitcoin-Kurs auf 760’000 Dollar klettern.

Unter den bunten Figuren der Krypto-Szene ist Hayes eine der schillerndsten. Im Jahr 2014 gründete er zusammen mit zwei Partnern Bitmex, die erste Crypto-Börse für Derivate. Innerhalb weniger Jahre stieg er damit zum «ersten afroamerikanischen Krypto-Milliardär» auf. Doch er stürzte bald ab – und landete weich. Das US-Justizdepartement erhob 2020 Anklage gegen Hayes, weil Bitmex trotz Tausender amerikanischer Kunden die Börse nie in den USA registrieren liess. Hayes tauchte unter, stellte sich aber ein Jahr später den Behörden. Er wurde zu einer Bewährungsstrafe und einer Busse von 10 Millionen Dollar verurteilt. Das tat seinem Ruhm aber keinen Abbruch: Nach wie vor gilt Hayes als einer der Vordenker der Branche.

Analoge Zahlungssysteme nicht tragfähig

Zu Beginn des Essays erörtert Hays zunächst, warum eine Künstliche Intelligenz ein Blockchain-basiertes digitales Zahlungssystem verwenden muss. Diese Tatsache reiche aber nicht aus, um den Bitcoin als mutmasslichen Sieger zu küren. Denn Fiat-Währungen können auch auf öffentlichen Blockchains laufen – wie etwa Tether. Digitale Zentralbankwährungen (CDBC, die Hayes «die digitalen Werkzeuge des Teufels» nennt) laufen ebenfalls auf Blockchain-Netzwerken.

Hayes legt dar, wieso analoge Zahlungssysteme für KI-gestützte Volkswirtschaften nicht tragfähig sind. Um den Zahlungsbedarf einer KI zu verstehen, müsse man zunächst die Art der finanziellen Interaktionen verstehen, die eine KI durchführen muss, um zu existieren und zu überleben. Dazu macht der Autor eine Annahme: Es gäbe eine Poesie-KI namens PoetAI. Das Ziel von PoetAI ist es, schöne Gedichte aus natürlichsprachlichen Anforderungen zu produzieren, indem sie alle jemals geschriebenen Gedichte aufnimmt. PoetAI ist ihre eigene wirtschaftliche Einheit, das heisst, sie stellt ihre Dienste in Rechnung. Jedes Mal, wenn ein Anwender eine Eingabeaufforderung an PoetAI sendet und ein Gedicht erhält, zahlt er eine Gebühr.

PoetAI nutzt die Daten anderer, um zu lernen, wie man schreibt. Daher muss PoetAI für das Privileg bezahlen, die geschriebenen Werke von Menschen aus der Vergangenheit und möglicherweise anderer KI zu verwenden. Zum Start von PoetAI fallen Vorkosten an für den Erwerb des Datensatzes aller geschriebenen Gedichte. Und später, wenn neue Gedichte geschrieben werden, muss PoetAI auch diese Daten erwerben. PoetAI bezahlt all diese verschiedenen Datenlieferanten fortlaufend, weil es ständig versucht, zu lernen und mehr Daten zu erwerben, da die Anzahl der Gedichte mit der Zeit zunimmt.

24/7 und zensurresistent

PoetAI existiert in elektronischer Form. Durch die Verwendung von Halbleitern, den Verbrauch von Strom und Rechenleistung entstehen ständig Kosten, die beglichen werden müssen. PoetAI benötigt ein Zahlungssystem, das jederzeit verfügbar, digital und vollständig automatisiert ist. Ein System, das nur dann zur Verfügung steht, wenn der Mensch wach ist oder Lust hat zu arbeiten, reicht nicht aus. Es liegt auf der Hand, dass das analoge Bankensystem – das nur montags bis freitags geöffnet und auf verschiedene Regionen und Banken aufgeteilt ist – nicht geeignet ist.

Für eine KI, die nicht menschlich ist und die menschlichen Gesetze nicht versteht, ist das Risiko, enttäuscht zu werden, hoch und unerwünscht. KIs brauchen ein digitales Zahlungssystem mit klaren und transparenten Regeln, die unabhängig davon gelten, wer Transaktionen durchführt oder wofür im Netzwerk bezahlt wird. Es darf keine einzelne Instanz geben, die die Macht hat, die Spielregeln willkürlich zu ändern, wann immer es ihr gefällt. Das System muss von vornherein zensurresistent sein.

Im zweiten Teil des Blogeintrags legt Hayes dar, dass KI zwei entscheidende Ressourcen braucht, um zu existieren und zu überleben: Daten und Rechenleistung.

Halbleiter und Strom als «Nahrungsquellen»

Um aus allen diesen Daten etwas mit Sinn zusammenzufügen, braucht PoetAI ein extrem starkes Netzwerk von Computern. Diese nehmen die bereitgestellten Daten auf, lernen und produzieren dann Antworten auf Aufforderungen. Das Lernen ist kontinuierlich, denn je mehr PoetAI schreibt, desto besser sollte es darin werden, Gedichte zu produzieren. Wenn die «Nahrungsquellen» von PoetAI auf ihre grundlegenden Bestandteile reduzieren werden, handelt es sich im Wesentlichen um Halbleiter und Strom.

Die Rentabilität einer KI (und in gewissem Sinne ihre gesamte Existenz) hängt davon ab, dass sie mit ihren Leistungen mehr verdienen kann, als die Energie und die Halbleiter kosten, die sie zum Leben benötigt. Eine KI wird deshalb «glücklich» sein, wenn Strom billig ist. In ähnlicher Weise muss die Währung, die eine KI für ihre Leistung akzeptiert, ihre Kaufkraft in Kilowattstunden behalten, so wie die Währung, die ein Mensch für seine Arbeit akzeptiert, in der Lage sein muss, eine konstante Menge an Kilokalorien zu kaufen.

Vergleich mit Fiat und Gold

Zum Schluss vergleicht Hayes in seinem Essay die «Währungen» Gold, Fiat und Bitcoin. Zuerst der Vergleich der Knappheit: Gold hat auf der Erde einen endlichen Vorrat, aber eine unbekannte Menge ausserhalb der Welt. Falls begonnen wird, Asteroiden zu erschliessen, wird das Angebot an förderbarem Gold in die Höhe schnellen. Fiat hat ein unendliches Angebot: Die emittierende Regierung kann so viel, wie sie will, praktisch ohne Kosten herstellen. Bitcoin hat einen bereits heute definierten, begrenzten Vorrat.

Dann die Einschätzung bezüglich der digitalen Zensurresistenz: Gold ist ein physischer Rohstoff. Die einzige Möglichkeit, eine digitale Darstellung von Gold zu verwenden, besteht darin, einer zentralisierten Einrichtung zu vertrauen, die ein digitales Goldzertifikat ausstellt. In seiner digitalen Form ist es nicht zensurresistent. Fiat kann entweder physisch oder digital sein. In seiner digitalen Form ist es aufgrund der staatlichen Aufsicht nicht zensurresistent. Bitcoin ist rein digital und zensurresistent.

Ein weiterer Vergleichspunkt ist die Energie-Kaufkraft: Gold wird durch den Einsatz verschiedenster Energien gefördert. Daher gibt es nicht ein einziges Energiederivat, von dem man sagen kann, dass es den Wert von Gold bestimmt. Fiat benötigt fast keine Energie, um geschaffen zu werden, und behält seinen Wert eher aufgrund der Politik seiner Regierung als aufgrund seines natürlichen Energiereichtums. Daher kann man nicht wissen, was genau seinen Wert jetzt oder irgendwann in der Zukunft definiert. Bitcoin kann nur von Computern erzeugt werden, die Strom verbrauchen. Die Kosten für Strom bestimmen den Wert von Bitcoin im Laufe der Zeit.

Die logische Wahl

Der Bitcoin ist für Hayes in allen Bereichen überlegen. Er schreibt «Bitcoin ist die logische Währungswahl für jede KI. Er ist rein digital, zensurresistent, nachweislich knapp und sein innerer Wert ist vollständig von den Stromkosten abhängig. Es gibt heute nichts, was Bitcoin in diesen Punkten auch nur annähernd das Wasser reichen könnte.»

In einem Anhang zum Essay legt er in einem Zahlenbeispiel nahe, wie die Bitcoin-Notierung auf 760'000 Dollar steigen könnte. Er schreibt dazu aber auch «das meiste Geld wird gemacht, wenn sich die Markteinschätzung von ‘kann nie passieren’ zu ‘könnte vielleicht passieren’ ändert».




Short cuts: News aus der digitalen Welt

Grosse Bitcoin-Transaktionen: Die Wale leben

Ein seit über zwölf Jahren ruhendes Bitcoin-Wallet ist in Bewegung geraten. Der gesamte Bestand von 1037 Bitcoins ist auf ein neueres Wallet verschoben worden. Der Besitzer hatte die Geduld des Tüchtigen. Die Bitcoins wurden im Jahr 2011 zu einem Preis von 4,92 Dollar erworben. Damit verzeichnet das Guthaben eine Wertsteigerung von 600'000 Prozent. Das Bitcoin Vermögen weist heute einen Marktwert von über 30 Millionen Dollar auf.

Marktbeobachter gehen davon aus, dass diese Transaktion dazu diente, die Sicherheit und die Privatsphäre zu verbessern. In den vergangenen Wochen gab es mehrere solche Transaktionen. In der grössten wurden Coins im Gegenwert von 250 Millionen Dollar umplatziert. Trotz dieser grossen Transaktionen haben sich fast 60 Prozent des Bitcoin-Bestandes seit über zwei Jahren nicht mehr bewegt. Das zeigt eine Statistik des On-Chain-Analyseunternehmens Glassnode. Die grössten Bewegungen stammten jüngst jedoch von der US-Regierung. Im Zusammenhang mit der Zerschlagung von Silk Road wurden in mehreren Transaktionen 300 Millionen Dollar verschoben.

Elon Musk: Macht er mit X den Dogecoin gross?

Twitter ist jetzt X. Denn der Name Twitter sei «zu klein gewesen für das, was aus diesem Dienst wird», sagte der Besitzer Elon Musk. Viele Marktbeobachter glauben, dass aus dem Kurznachrichtendienst eine Universal-App werden soll, wie etwa die chinesische WeChat. Bei einer solchen Anwendung ist ein Zahlungsdienst zentral und es liegt nahe, dass Zahlungen auch mit Kryptowährungen ausgeführt werden sollen. Musks Vision einer Plattform namens X geht auf seine Zeit bei PayPal zurück. Vor dem Zusammenschluss mit der Firma von Peter Thiel und Max Levchin hiess das Unternehmen X.com. Musk behielt die URL X.com.

Vor einigen Monaten ersetzte er das Twitter-Logo für einige Tage durch das Hundesymbol von Dogecoin, was umgehend zu einer Doge-Kursrally führte. Anfang Jahr berichtete die «Financial Times», dass Musk angeordnet habe, für Twitter eine Zahlungsinfrastruktur aufzubauen, zunächst für Fiat-Währungen, aber mit der Möglichkeit, später Kryptowährungen hinzuzufügen. Der Schritt in den Kryptobereich wäre nicht neu für die App. Im Jahr 2021, noch unter CEO Jack Dorsey, ging Twitter eine Partnerschaft mit dem Zahlungsdienstleister Strike ein. Ziel war damals, eine Bitcoin-Tipping-Funktion einzurichten.

Twitter hat sich bereits in drei US-Bundesstaaten – Michigan, Missouri und New Hampshire – Lizenzen für Geldtransfers gesichert. Obwohl der Kurznachrichtendienst seit der Übernahme durch Musk starker Kritik ausgesetzt war, hat er noch immer Millionen von Nutzern, die potenzielle Kunden für den Zahlungsdienst wären. Angesichts Musks Verbundenheit zur Krypto-Branche ist anzunehmen, dass der zukünftige Zahlungsdienst Bitcoin, Ethereum und Stablecoins mit einbeziehen wird. Wegen der hohen Präsenz von Doge im Online-Auftritt von Musk ist davon auszugehen, dass X auch Zahlungen mit dem Dogecoin ermöglichen wird. Das würde Musks Währung einen Wachstumsschub verleihen.

Google öffnet sich dem Web3

Jahrelang hatte sich Google gesträubt. Doch nun lässt der Internetriese Werbung für Blockchain-basierte digitale Inhalte in Apps und Spielen zu. Auch in Google Play wird der Handel mit diesen Inhalten nun zugelassen. Der Schritt ist eine Reaktion auf das wachsende Interesse an nicht-fungiblen Token (NFT) und anderen tokenisierten digitalen Vermögenswerten. Die Alphabet-Tochter hatte bereits Anfangs Jahr eine Änderung der Politik angedeutet und arbeitet nun mit Web3-Spieleherstellern wie Mythical Games zusammen. Google spielt eine entscheidende Rolle für die Einführung der Blockchain- und Kryptotechnologie. Es gibt Milliarden Geräte, die das mobile Android-Betriebssystem des Unternehmens nutzen, um auf Web3-basierte Anwendungen zuzugreifen. Aus diesem Grund hat sich die Alphabet-Tochter nur entschieden, die Unternehmenspolitik anzupassen und eine dominierende Rolle im Web3 einzunehmen. Der Vertrieb von Blockchain-basierten Apps durch Google könnte wie ein Dammbruch zwischen Web3 und traditionellem Internet wirken.

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