Special Week: KI im Banking
Künstliche Intelligenz verändert die Beziehung zwischen Banker und Kunden. Doch wie weit geht diese Entwicklung im Private Banking – dort, wo die zwischenmenschlichen Beziehungen angeblich essentiell sind? Simon Gomez von LGT hat Antworten darauf.
15. Juli 2025 • Anton Beck

Simon Gomez ist Head of Data and Innovation bei der Liechtensteinischen Privatbank LGT. In dieser Funktion erzählt er tippinpoint unter anderem, weshalb er durch Robo Advisor nicht das Ende der Privatbanken sieht und wo KI bei der Privatbank eine Rolle spielt. Das Interview mit Simon Gomez bildet den Auftakt für unsere «Special Week: KI im Banking».

Wer Privatbanker nach KI fragt, hört häufig, man dürfe die Entwicklungen nicht verschlafen, aber KI könne das Vertrauen zum Banker nie ersetzen. Glauben Sie das auch?

Ich glaube, da steckt viel Wahres drin. Ich sehe Finanzen wie auch etwa Gesundheitsthemen als grössere Entscheidungen in unserem Leben und da wird das Menschliche, der Austausch und das Vertrauen, weiterhin zentral sein. Bei grossen Entscheidungen, wie beispielsweise einer Erbschaft, bin ich fest davon überzeugt, dass der persönliche Austausch zwischen Menschen den entscheidenden Unterschied macht. Solche Situationen sind oft äusserst individuell und erfordern ein tiefes Verständnis für die spezifischen Bedürfnisse und Umstände. Zwar kann eine umfangreiche Datenbasis wertvolle Hinweise liefern, doch sie ersetzt niemals die menschliche Einschätzung. Unser Ansatz bei der LGT ist daher klar: Wir möchten unseren Kundenberatern mehr Zeit und Möglichkeiten geben, um sich auf die persönliche Beratung zu konzentrieren. Dabei unterstützen wir sie mit modernen Tools, einschliesslich Künstlicher Intelligenz, die ihre Arbeit effizienter und präziser machen. Dennoch bleibt der direkte, persönliche Kontakt mit dem Kunden für uns von zentraler Bedeutung.

Vertrauen hat aber auch seine Schwachstellen – es kann missbraucht werden oder Menschen können unwissentlich Situationen falsch einschätzen. Ein Robo Advisor hingegen bietet eine nüchterne, datenbasierte Einschätzung. Warum sollte jemand also auf Vertrauen setzen?

Es kommt wahrscheinlich darauf an, über welches Anlagevolumen wir sprechen. Ich stimme Ihnen zu: Wenn jemand einen kleineren Betrag investieren möchte, beispielsweise über ETFs, kann ein Robo Advisor durchaus sinnvoll sein – die Entwicklungen der letzten zehn Jahre zeigen auch ein gewisses Wachstum in diesem Bereich. Dennoch ist die Akzeptanz bei Endkunden nicht so gross, dass ein Grossteil ihrer Vermögen von Robo Advisors verwaltet wird. Hier spielt aus meiner Sicht die Vertrauensbasis eine entscheidende Rolle, die wir zum Beispiel durch eine langjährige Zusammenarbeit aufbauen konnten. Besonders bei unseren vermögenderen Kunden sind die finanziellen Situationen häufig zu komplex, um diese lediglich mit einem breit gestreuten ETF-Portfolio abzudecken. Oft stehen dahinter auch Unternehmen und komplexe Familienstrukturen, die wir seit vielen Jahren individuell begleiten und beraten – und entsprechend gut kennen. Genau daraus entsteht das Vertrauensverhältnis, das ein Robo Advisor nicht bieten kann.

Angenommen eine Kundin will eine Einschätzung zu einer Aktie und nicht gleich zum Telefon greifen und die Bankerin belästigen? Was bieten Sie solchen Leuten an?

Das wird von uns keinesfalls als Belästigung empfunden – ganz im Gegenteil: Wir legen grossen Wert darauf, den persönlichen Kontakt zu unseren Kunden aktiv zu fördern und aufrechtzuerhalten. Aktuell gibt es bei uns keinen einzigen Fall, in dem wir einen Robo Advisor als Zwischenschritt zwischen uns und den Kunden einsetzen möchten. Im Retailbereich sieht das möglicherweise anders aus, da dort der Kundenkontakt oft als zu kostenintensiv gilt. Ich bin jedoch sehr gespannt – und darauf kann ich Ihnen heute noch keine endgültige Antwort geben –, wie sich das künftig verändern wird und welche Erwartungen die Kunden, auch an eine Privatbank, künftig haben werden. Eventuell werden sich neue Formen der Interaktion etablieren; erste Ansätze dafür beobachten wir bereits heute.

Wenn Sie sagen, man merke das jetzt schon: Gibt es dann die Erwartung der Kund:innen an die Bank 24/7 verfügbar zu sein?

Nein, die Erwartung, rund um die Uhr persönlich mit einer Ansprechperson sprechen zu können, ist sicherlich nicht der Standard. Wir bieten selbstverständlich verschiedene Kanäle an, über die wir unseren Kundinnen und Kunden kurze Portfolio-Updates zukommen lassen können. In der Regel sind die Gespräche zwischen Kundenberater und Kunden jedoch nicht so zeitkritisch, dass innerhalb von zwei Minuten reagiert werden müsste – ausser es geht um spezifische Handelsstrategien, für die es wiederum eigene Zugangswege gibt. Für eine sehr kleine Kundengruppe, die besonders aktiv am Markt agiert, besteht durchaus die Möglichkeit, dass ein ständiger, direkter Kontakt gewährleistet ist. Für den Grossteil unserer Kundinnen und Kunden steht jedoch eine langfristig ausgerichtete Anlagestrategie im Vordergrund. Solche Strategien werden nicht von einem Tag auf den anderen grundlegend geändert, sondern vielmehr kontinuierlich gemeinsam angepasst.

Wenn Sie auf einen Chatbot verzichten und KI nicht im Frontend nutzen, wo spielt KI bei der LGT dann eine große Rolle?

Im Bereich vom Markt Research sehen wir beispielsweise grosses Potenzial. Gerade hier kann Künstliche Intelligenz entscheidend dazu beitragen, unsere Dienstleistungen weiter zu optimieren. Auch das Wissensmanagement in der Bank ist ein zentrales Thema, bei dem KI wertvolle Unterstützung leisten kann. Zudem arbeiten wir häufig mit Formularen wie Verträgen, die von unseren Kundinnen und Kunden handschriftlich ausgefüllt werden und bisher manuell in unsere Systeme übertragen werden müssen. Die automatische Extraktion relevanter Informationen durch KI macht diesen Prozess wesentlich effizienter und entlastet unsere Kundenberaterinnen und Kundenberater, sodass sie sich voll auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Ein weiteres Beispiel: Früher mussten Analysten bei den Präsentationen von Quartalsberichten einzelner Unternehmen persönlich dabei sein, um die Informationen der Investor-Relations-Abteilungen zu verfolgen. Inzwischen gibt es jedoch spezialisierte Unternehmen, die diese Präsentationen direkt transkribieren und zusammenfassen. Dadurch können wir heute viel schneller und effizienter auf relevante Informationen zugreifen.

Wie gingen Sie bei der Auswahl der KI-Systeme vor? Gerade als Privatbank hantieren Sie ja mit sehr sensitiven Daten.

Für uns war es von Beginn an essenziell, dass wir unsere eigenen Daten sowie die unserer Kundinnen und Kunden umfassend schützen können. Unser Ziel ist es, ein System aufzubauen, bei dem Drittparteien – insbesondere grosse Tech-Provider – keinerlei Zugriff auf unsere Daten erhalten. Das bedeutet, dass wir keine Daten an Anbieter wie OpenAI in die USA übermitteln. Stattdessen nutzen wir ausschliesslich verschlüsselte Modellkopien, die sicher und ausschliesslich auf unseren eigenen Servern betrieben werden.

Manche Banken sind sehr progressiv bei der Nutzung von KI, manche eher zurückhaltend. Wo ordnet sich die LGT da ein?

Wir haben bereits früh entschieden, dass dieses Thema für uns eine hohe Relevanz hat und einen erheblichen Einfluss auf unser Unternehmen haben wird. Daher wollten wir KI von Anfang an proaktiv angehen. Ich bin zudem überzeugt, dass die gesamte Finanzindustrie mittlerweile erkannt hat, dass Künstliche Intelligenz den Sektor grundlegend verändern wird.

Findet der Austausch unter den Banken im Finanzplatz Schweiz in Sachen KI offen genug statt?

Ich habe den Eindruck, dass der Austausch zu diesem Thema insgesamt recht offen ist, da wir alle vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Natürlich gibt jedoch niemand seinen eigenen Code preis oder legt im Detail offen, wie bestimmte Probleme jeweils konkret gelöst werden.