Digital Assets Briefing
In der Nacht auf Freitag ging eine extrem lange Phase der Stabilität zu Ende. Was sind die Gründe, warum der Bitcoin während zwei Monaten stabil bei 30’000-Dollar-Marke notierte? Schweizer Krypto-Experten schätzen die Lage ein.
18. August 2023 • Werner Grundlehner

In der Nacht auf Freitag kam es zu einem urplötzlichen Kurssturz. Die Gründe für den heftigen Einbruch sind nicht klar definierbar. Gemäss einer Meldung des «Wall Street Journal» hat das Weltraumunternehmen SpaceX von Elon Musk seine gesamten Bitcoin-Bestände verkauft. Das soll den Kursrutsch initiiert haben.

Doch zuvor bewegte sich der Bitcoin in einem engen Band von wenigen Hundert Dollar. Dabei gab es in den vergangenen Wochen und Monaten zahlreiche Meldungen, welche die Bitcoin-Notierung durchaus in Bewegung hätten versetzen können. Belastend hätten insbesondere zahlreiche Skandale um Kryptobörsen und -dienstleister sowie der «Feldzug» der US-Behörden gegen Kryptowährungen wirken können.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• Haben sich Ripple-Investoren zu früh gefreut?
• Das wars also mit der Skepsis: Trump hält beachtliches Krypto-Vermögen
• Erhält die Schweizer Relai die erste europäische MiCA-Lizenz?


Kurstreibende Wirkung könnte man von folgenden Faktoren erwarten: Unter traditionellen institutionellen Asset Manager gewinnt der Bitcoin an Akzeptanz. Das zeigt sich insbesondere an mehreren Zulassungsanträgen für kotierte Indexfonds auf den Bitcoin-Spotpreis – viele Schlagzeilen generierte hier vor allem der ETF-Antrag des weltgrössten Vermögensverwalters BlackRock.

Auch das Halving im kommenden Jahr veranlasste viele Marktbeobachter für die älteste Kryptowährung hohe bis wahnwitzige Kursprognosen zu stellen. Beim Halving wird die Belohnung für die Miner für das Prüfen eines Blocks in der Blockchain halbiert. Damit wird das Mining weniger attraktiv und das Angebot an neuen Bitcoins verringert.

Doch all diese Kurstreiber verpufften ohne Effekt. Der Bitcoin blieb solid, was in seiner noch jungen Geschichte eher etwas Ungewöhnliches ist. Was ist der Grund für diese unerwartete Stabilität? Ist es ein Zeichen des «Erwachsenwerdens», haben Spekulanten das Interesse verloren oder ist es eine «Ruhe vor dem Sturm»?

Sommerpause…

«Der Bitcoin-Preis ist seit Anfang Jahr um rund 80 Prozent gestiegen, bewegt sich jedoch seit Mitte Juni 2023 grundsätzlich seitwärts, was sich stark in den Handelsvolumen widerspiegelt und sich für viele Marktteilnehmer ungewöhnlich anfühlt, da Krypto Preise im Vergleich zu anderen Anlageklassen vielfach eine überdurchschnittliche Volatilität ausweisen», sagt Livio Bühler, Headt Trading & Brokerage bei Bitcoin Suisse. Diese «Sommer-Pause» beim Preis sei jedoch nicht komplett unerwartet, da sich der Kryptomarkt seit dem Kollaps der FTX-Börse im November 2022 trotz des negativen Makroumfelds mit steigender Inflation und erhöhtem Zinsumfeld dieses Jahr stark erholt habe.

Bei den Altcoins sei ein ähnliches Bild zu sehen, mit gewissen Ausreissern, wie beispielsweise XRP (Ripple), welcher Mitte Juli 2023 eine rasante Wertsteigerung sah und sich mehr als verdoppelte, ausgelöst durch den Gerichtsentscheid in den USA, dass der Token nicht als Wertpapier klassifiziert wird (vgl. Short Cuts). Abgesehen von solchen Token-spezifischen Nachrichten korrelieren alle Altcoins gemäss Bühler stark mit Bitcoin und sind dementsprechend ebenfalls gekennzeichnet von tiefen Handelsvolumen sowie unterdurchschnittlicher Volatilität.

…zurückhaltende Privatinvestoren und…

«Diese hohe Stabilität, trotz bullisher Signale wie etwa die Bitcoin-ETF-Gesuche von Finanzgiganten wie BlackRock, VanEck, Fidelity & Co., die führende Rolle von Bitcoin-befürwortenden Präsidentschaftskandidaten in den USA und Argentinien, oder die On-Chain-Daten, die suggerieren, dass es immer mehr Bitcoin Hodler bzw. Akkumulierer gibt, also Sparer, die Bitcoin langfristig halten, ist tatsächlich auch für mich überraschend», sagt Relai-Gründer und -CEO Julian Liniger.

Seine Einschätzung sei, dass wir uns immer noch in einem Bärenmarkt befinden und Bitcoin wenig in den Medien präsent ist. Entsprechend bleibe der Run der Retail Investoren aus. Institutionelle Investoren seien nach wie vor zögerlich, weil die US-Börsenaufsicht SEC noch keine abschliessende Klarheit geschaffen habe, wie sie zu Bitcoin stehe und ob bzw. wann ein ETF bewilligt werde. «Erst dann werden die grossen, institutionellen Investoren signifikant investieren», so Liniger.

Eine andere Perspektive sei, dass grosse Investoren tatsächlich bereits Bitcoin kaufen würden, sich der Preis aber bisher noch wenig verändert habe, weil sie dies über OTC-Geschäften machten. Diese Handelsmethode wirkt sich nicht direkt auf den Marktpreis aus. Auch könnte der immer noch junge und relativ kleine Markt gemäss Liniger von grossen Playern nach unten manipuliert werden, indem aktiv Verkaufsdruck ausgeübt wird mit grossen Ordern und Futures.

…Neuskalierung der Risikobereitschaft

«Wir befinden uns derzeit im 3. Quartal, das bekanntlich das Quartal mit der geringsten Volatilität an den meisten Finanzmärkten ist. Sowohl der S&P-500-Aktienindex als auch der WTI-Ölpreis befinden sich auf einem 3-Jahres-Volatilitätstief», sagt Dominic Lohberger, Head Trading & SIS bei der Sygnum Bank. Je institutioneller der Kryptomarkt werde, desto ausgeprägter werde dieser Effekt sein, da diejenigen, die den Markt bewegten, wahrscheinlich im Urlaub seien. Sodann befindet sich der Markt gemäss Lohberger wegen der ausstehenden Zulassung eines amerikanischen BTC-Spot-ETF in einer abwartenden Haltung.

Darüber hinaus seien viele Marktteilnehmer nach dem Zusammenbruch von Finanzinstituten mit Kryptoverbindungen noch damit beschäftigt, ihre Bankverbindungen in die Fiat-Bankenwelt wieder aufzubauen und die Rahmenbedingungen für das Gegenparteirisiko, die Risikobereitschaft und den Zugang zu regulierter Liquidität in einer Post-FTX-Welt neu zu bewerten.»

Kurzfristig sind Zinsentscheide relevant

Wie sehen die Experten die kommende Entwicklung des Bitcoins. Livio Bühler sagt: «Das Makroumfeld ist nach wie vor angespannt, und der Kryptomarkt scheint von den monatlichen US-Inflationszahlen sowie den Zinsentscheiden der Federal Open Market Committee FOMC getrieben». Unabhängig von den Makrofaktoren spiele das Thema Regulation eine wichtige Rolle, speziell aus den USA. Faktoren wie zum Beispiel das Bitcoin-Halving im kommenden Jahr sowie der erwartete SEC-Entscheid betreffend den Spot Bitcoin ETF könnten sich positiv auf den Preis auswirken. Mit der Lancierung von Spot Bitcoin ETF könnte die Nachfrage erwartungsgemäss zunehmen.

«Ich bin davon überzeugt: Wenn sich auch nur wenige der aktuell positiven Signale bewahrheiten, wird dies, zusammen mit dem Halving im Mai 2024, einen Nachfrageüberschuss und somit einen starken Preisanstieg von Bitcoin zur Folge haben», sagt Julian Liniger.

Korrelation mit Tech-Aktien verschwunden

Ist es sinnvoll, dass man den Kurs des Bitcoins wie die Notierungen von traditionellen Papieren betrachtet und Prognosen macht. Vor allem die Markttechnik hat sich im Kryptomarkt etabliert, obwohl dieser punkte Investorenzugang, Liquidität und Regulierung doch ziemlich anders funktioniert als etwa der Aktienmarkt.

«Prognosen auf allen Anlageklassen sind mit Vorsicht zu geniessen, und dies gilt auch für Krypto-Anlagen», sagt dazu der Handelschef von Bitcoin Suisse. Im vergangenen Jahr habe der Bitcoin eine überdurchschnittliche Korrelation zu den US-Aktien ausgewiesen – im Speziellen zu Tech-Aktien. Dies habe sich mit Beginn des Jahres 2023 geändert. Die Korrelation verlaufe nun mehrheitlich negativ. Somit sind Preisableitungen von den traditionellen Märkten gemäss Livio Bühler nicht sehr aussagekräftig. Unabhängig vom Gesamtmarkt und der Preisentwicklung sieht Bitcoin Suisse ein wachsendes Interesse von Finanzdienstleistern, ein Krypto Angebot aufzubauen. Das weise darauf hin, dass sich der Kryptosektor zunehmend als alternative Anlageklasse im Sinne einer Portfolio-Diversifizierung etabliere.




Short cuts: News aus der digitalen Welt

Haben sich Ripple-Investoren zu früh gefreut?

Vor einem Monat verdoppelte sich der Wert des Ripple-Token. Ein Gericht entschied, der Token sei nicht als Wertpapier einzustufen. Damit schien ein dreijähriger Rechtsstreit zwischen Ripple Labs und der US-Börsenaufsicht SEC ein Ende gefunden zu haben. Doch nun hat die SEC Berufung gegen das Gerichtsurteil eingelegt. Ende 2020 reichte die US-Börsenaufsicht eine wegweisende Klage gegen Ripple ein. Der Regulator beschuldigt das Unternehmen, es habe US-Kunden durch den öffentlichen Verkauf der Kryptowährung XRP ein nicht-registriertes Wertpapier angeboten. Durch diesen Vorgang hätten die Gründer 1,3 Mrd. Dollar eingenommen. Laut der US-Bezirksrichterin war das öffentliche Angebot des XRP-Token jedoch mit den Bundeswertpapiergesetzen vereinbar. Lediglich den Verkauf an institutionelle Akteure stufte die Richterin als nicht-registriertes Wertpapierangebot ein.

Der Ausgang des Ripple-Falls hat Bedeutung für den ganzen Sektor, weil die SEC bereits über ein Dutzend weiterer Kryptowährungen als nicht-registrierte Wertpapiere eingestuft hat. Allgemein vertritt die Behörde unter Leitung des Vorsitzenden Gary Gensler die Ansicht, alle Krypto-Assets - abgesehen vom Bitcoin - fielen unter ihren Zuständigkeitsbereich. Die Bezirksrichterin muss nun entscheiden, ob die SEC gegen ihr Urteil Berufung einlegen darf.


Das wars also mit der Skepsis: Trump hält beachtliches Krypto-Vermögen

«Bitcoin fühlt sich wie ein Betrug an.» Das sagte der amerikanische Ex-Präsident Donald Trump im Juni 2021 dem TV-Sender Fox Business. Nach seiner missglückten Wiederwahl 2020 äusserte sich Trump mehrfach negativ gegenüber Kryptowährungen. In seiner Amtszeit hielt er sich diesbezüglich zurück. Lediglich in einem Tweet von Juli 2019 zweifelte er als amtierender Präsident am Wert und der Zuverlässigkeit von Bitcoin und anderen Kryptowährungen. Sein damaliger Kommunikationsdirektor, Anthony Scaramucci, deutete jedoch an, dass der Präsident möglicherweise nicht selbst hinter diesem Tweet stand, der später von der Plattform entfernt wurde. Doch nun scheint ein Sinneswandel eingesetzt zu haben.

Gemäss den Informationen, die durch die United States Office of Government Ethics (einer Regierungsbehörde zur Begrenzung von Interessenkonflikten in der Exekutive der US-Regierung) offengelegt wurden, hält Trump auf einem Ethereum-Wallet rund 2,8 Mio. Dollar in Ether. Zudem verdiente der Ex-Präsident mit seiner NFT-Sammlung annähernd 4,8 Mio. Dollar an Lizenzgebühren. Trumps erste NFT-Kollektion wurde im Dezember 2022 der Öffentlichkeit vorgestellt und zeigt den ehemaligen US-Präsidenten als Superhelden, Cowboy oder Astronaut. Der anfängliche Verkaufspreis jedes NFT betrug 99 Dollar und die 45’000 digitalen Sammlerstücke wurden über die Blockchain von Polygon ausgegeben. Die NFT-Sammlung, die stark an Handelsvolumen zulegte, ist mittlerweile erweitert worden.


Erhält die Schweizer Relai die erste europäische MiCA-Lizenz?

Relai beantragt eine Krypto-Lizenz in Frankreich. Erhält das Schweizer Start-up eine solche, wäre es das erste europäische Bitcoin-Unternehmen mit MiCA-Lizenz. Relai bietet eine App an, die einen raschen und unkomplizierten Handel mit Bitcoin ermöglicht. Das Antragsverfahren von Relai in Frankreich zielt auf eine Digital-Asset-Service-Provider-Lizenz (DASP). Eine solche würde jedoch im Januar 2025 automatisch in eine MiCA-Lizenz umgewandelt werden. Relai ist bereits in einigen EU-Ländern aktiv, eine MiCA-Lizenz würde dem Start-up jedoch weitere Befugnisse wie Marketing, das Führen von EU-Bankkonten sowie eine Verfügbarkeit in allen nationalen Apple App Stores geben. Im April 2023 hat das Europäische Parlament die Markets in Crypto Assets Regulation (MiCA) verabschiedet. Das Gesetzespaket bringt der EU eine einheitliche Krypto-Regulierung. Das ehrgeizige Vorhaben von Relai soll Patrik Gilli vorantreiben. Das Unternehmen hat den Ex-Rothschild-Manager als Finanzchef (CFO) verpflichtet. Gilli blickt auf mehr als 20 Jahre Erfahrung im traditionellen Finanzsektor zurück. Nach Angaben des Unternehmens kommt die Relai-App bisher auf über 230'000 Downloads und wird von 75’000 Nutzern aktiv genutzt. Im Frühling 2023 hat das Zürcher Unternehmen eine Finanzierungsrunde über 4,5 Mio. Dollar abgeschlossen.

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