Digital Assets Briefing
Es ist nicht so einfach, wie es sich die US-Börsenaufsicht macht: «Coins sind Wertschriften oder eben nicht». Es ist viel komplizierter. Der Versuch einer Einordnung.
30. Juni 2023 • Werner Grundlehner

Ein Bitcoin ist ziemlich anders als der Tether und dieser unterscheidet sich markant von einem Cardano-Coin. Mittlerweile umfasst die Krypto-Branche über 26’000 unterschiedliche Coins – und alle werden in den gleichen Topf geworfen. Zumindest von den Investoren.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• Yi He – die Binance Mitgründerin tritt ins Rampenlicht
• Kennedy bringt sich als Pro-Bitcoin-Präsidentschaftskandidat in Position
• Auch das digitale Geld liegt am liebsten in Schweizer Tresoren


Was sind eigentlich Kryptowährungen - und was sind die vielen Coins? Was ist der Meme-Coin «Pepe The Frog», der ohne fundamentale Gründe über 1000 Prozent zugelegt hat? Was ist ein Stablecoin, der nicht zu 100 Prozent hinterlegt ist? Und was – bitte schön! – ist der FTT-Coin, der mit FTX-Börse zusammengekracht ist?

Umgangssprachlich oder zur Vereinfachung werden die Coins als Kryptowährungen bezeichnet, doch dies ist meist nicht korrekt. Die Coins haben unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten und werden für verschiedenste Anwendungen gebraucht. Korrekt ist, dass die Coins auf der gleichen Technologie basieren und fälschungssicher und anonym auch der Blockchain «lagern».

Korrekt ist ebenfalls, dass der Pacemaker der Branche der gewichtigste und älteste Coin ist – der Bitcoin. Er verkörpert mit einem Marktwert von aktuell rund 590 Mrd. $ mehr als die Hälfte des Wertes, den die gesamte Industrie auf die Waage bringt. Die guten und schlechten Nachrichten im Krypto-Sektor lassen die Notierungen der Coins mehr oder weniger im Gleichschritt mit dem Bitcoin bewegen.

Mit dem Erwachsenwerden der Krypto-Industrie werden die Unterscheidungen und die differenzierte Behandlung der einzelnen Coins wohl zunehmen. Das Bedürfnis nach Unterscheidung und Einordnung dürfte dabei markant zulegen. Kryptowährungen oder -assets als Kategorie greifen zu kurz.

Die beiden Krypto-Dienstleister 21Shares und CoinGecko haben im Research-Papier «The Global Crypto Classification Standard» aufgezeigt, wie Coins klassifiziert werden können. Dazu ordnen sie die Kryptovermögenswerte auf drei unterschiedlichen Ebenen ein. Im Vorwort schreiben die Verfasser: «Diese Initiative dient als Industrie-Klassifizierung, um die Missverständnisse über Krypto-Assets zu entmystifizieren und Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser aufkeimenden Anlageklasse zu beleuchten. Ausserdem hilft sie einer klaren Einordnung der verschiedenen Projekte und Krypto-Assets in diesem Bereich, sodass Nutzer und Investoren auf einen Blick erkennen können, was ein Projekt tut und wo es im grösseren Krypto-Stack angesiedelt ist.» Die Autoren räumen ein, dass es im Laufe der Jahre noch zu zahlreichen Änderungen kommen könne. Link zur Studie

Auf den ersten beiden Ebenen beziehen sich die Autoren nur auf das Netzwerk oder das Protokoll (Crypto Stack), während auf Ebene 3 der Token klassifiziert wird. Am Beispiel des Ethers heisst dies, dass in Level 1 das Netzwerk, also die Ethereum-Blockchain betrachtet wird, auf Level 2 die verschiedenen Segmente der Krypto-Wirtschaft und erst auf Stufe 3 der Token, also der Ether.

Ebene 1

Auf dieser Stufe der Kategorisierung wird nach den Arten der Krypto-Assets unterschieden, die das Universum ausmachen (Crypto Stack).

Kryptowährungen: Blockchains oder Protokolle, die auf die Übertragung von Werten spezialisiert sind. Die Nachfrage nach Kryptowährungen leitet sich sich aus ihrem Nutzen als Tauschmittel, Rechnungseinheit und Wertaufbewahrungsmittel ab.

Beispiele: Bitcoin, Litecon, Monero, Zcash.

Smart-Contract-Plattformen: Eine solche Plattform ist eine Basis-Blockchain mit integrierter allgemeiner Programmierbarkeit, die es Entwicklern ermöglicht, Smart Contracts zu schreiben und dezentralisierte Anwendungen (dApps) zu starten. Diese Plattformen können auch als Layer für die Datenverfügbarkeit dienen, auf denen alle Transaktionen abgewickelt werden (daher werden sich auch Abwicklungs-Blockchain genannt). Die Datenstruktur dieser Blockchains enthält nicht nur alle Konten und Guthaben, sondern auch einen «Maschinenzustand», der für jeden Block ein spezifisches, vordefiniertes Regelwerk umfassst. Diese Regeln werden von einer virtuellen Maschine definiert und ausgeführt.

Beispiele: Ethereum, Cardano, Solana.

Skalierungs-Plattform: Im Kern ist ein Skalierungsprotokoll, eine separate Blockchain, die dazu beiträgt, die Netzwerkkapazität einer Abwicklungs-Blockchain um ein Mehrfaches zu erweitern, aber gleichzeitig die Sicherheitsgarantien übernimmt. Beispiele hierfür sind Anwendungen, die Hunderte von Transaktionen zu einer einzigen Transaktion auf der Basisschicht bündeln und so die Überlastung der Abwicklungs-Blockchain beseitigen.

Beispiele: Polygon, StarkWare, Arbitrum.

Interoparilitäts-Protokolle: Das sind Netzwerke, die sich auf die Konnektivität zwischen verschiedenen Blockchains spezialisieren. Dafür werden Zustände oder Nachrichten übermittelt. Dabei sind es entweder Brückennetze oder Hub-and-Spoke-Modelle mit einem zentralen Knotenpunkt.

Beispiele: Cosmos, Polkadot, Avalanche.

Anwendungsspezifische Blockchains: Diese eigenständigen Blockchains unterstützen bestimmte Anwendungsfälle, wie Cloud-Speicher und IoT-Geräte. Statt eine dezentralisierte Anwendung auf einer Smart-Contract-Plattform wie Ethereum zu entwickeln, bauen Entwickler für eine einzelne Anwendung eine massgeschneiderte Blockchain von Grund auf.

Beispiele: Celestia, Arweave, Filecon, Heilum

Oracles: Middleware-Lösungen bringen Off-Chain-Daten direkt in die Blockchain ein, wie Börsenkurse von traditionellen Vermögenswerten oder Wetterdaten. Ein Manko von Blockchain-Protokollen ist, dass sie von der Welt ausserhalb ihres Ledgers isoliert sind, was den Nutzen einer Smart-Contract-Plattform verringert. Dieser Umstand ist als Orakel-Problem bekannt.

Beispiele: Chainlink, UMA

Zentralisierte Applikationen (cApps): Zentralisierte Web- und Mobilanwendungen für den Zugriff auf Web3-Produkte und -Dienstleistungen. Diese cApps werden von traditionellen Organisationsstrukturen betrieben (private Unternehmen, Stiftungen usw.). cApps haben mindestens eine der folgenden folgende Merkmale: Benutzer interagieren mit ihnen wie mit einem Custodian; zentralisierte Einrichtungen, die hinter ihnen stehen, behalten das Recht, Konten zu zensieren.

Beispiele: OpeanSea, zentralisierte Börsen und Stablecoin-Emittenten

Dezentralisierte Applikationen (dApps): dApps beziehen sich auf Web- und Mobilanwendungen für den Zugriff auf Web3-Produkte, -Dienste oder -Daten. Auch dezentralisierte autonome Organisationen (DAO) werden als Struktur für dApps erachtet, da ihr Anwendungsfall typischerweise darin besteht, eine Gemeinschaft mittels Blockchain-Technologie für ein gemeinsames Ziel zu organisieren. Viele dApps werden auch von DAO betrieben und verwaltet.

Beispiele: Uniswap, MakerDAO

Ebene 2

Die zweite Ebene klassifiziert Protokolle nach Sektoren und Industrien, wie sie im Jahr 1999 von S&P eingeführt und von der globalen Finanzwelt verwendet werden. «Industrie» bezieht sich auf eine spezifischere Gruppe von Unternehmen oder Geschäften (Protokolle oder Netzwerke), während «Sektor» ein grosses Segment der Krypto-Wirtschaft beschreibt. Hier wird unterschieden zwischen diesen «Sektoren».

App-Entwicklung (Software-Entwicklung): Entwickler-Tools und Protokolle zum Erstellen von dApps, Ausführen von Tests und Bereinigen von Code.

Centralized Finance: Krypto-basierte Finanzinfrastruktur, die auf Vermittler angewiesen ist.

Metaverse: Protokolle, die virtuellen Erfahrungen, parallel zu unserer physischen Welt, sammeln, mit dem Zweck soziale Interaktion zu fördern.

Decentralised Finance: Internetbasierte Finanzinfrastruktur, die nicht auf eine zentralisierte Institution wie eine Bank, einen Makler oder ähnliche Intermediäre angewiesen ist.

Unterhaltung / Freizeit: Eine vielschichtige Kombination von Protokollen, die von Prognosemärkten (Glücksspiel) bis hin zu Meme-Tokens reicht.

Identity: Dezentralisierte Protokolle, die die Registrierung und Überprüfung digitaler Berechtigungsnachweise ermöglicht. Anstatt sich auf einen zentralen Vermittler wie Google zu verlassen, können Nutzer ihre digitale Identität mit ihrem Wallet oder anderen Blockchain-basierten Speichertechnologien verwalten.

Speicher (Storage): Dezentrale Speicheranbieter, die die gleichen Funktionen wie Cloud-Speicheranbieter im Web2 haben.

Infastruktur: Der Infrastrukturbereich umfasst Smart Contract Plattformen, Skalierungsprotokolle, Interoperabilitätsprotokolle, und Brücken. Einige Kryptowährungen, wie z. B. Bitcoin, haben ein reichhaltiges Ökosystem von Anwendungen, die um sie herum aufgebaut und Smart-Contract-Funktionalität hinzufügen können.

Internet of Things: Dezentraler Anschluss und Datenaustausch mit anderen Geräten.

Interactive Media: Diese Medien beziehen sich auf Blockchain-basierte digitale Werbung, die sich auf den Datenschutz der Nutzer konzentriert und sie für ihre Interaktion mit der Werbung belohnt.

In der zweiten Stufe der Ebene 2, werden diese Sektoren noch in eine grosse Anzahl von «Industrien» unterteilt.

Ebene 3

Auf der dritten Ebene klassifizieren die Autoren von 21Shares und CoinGecko die Krypto-Assets nach der der «Superklasse» der Vermögenswerte, zu der sie gehören. Zum Beispiel ist Uniswap eine dApp (Ebene 1), die in den Sektor der dezentralen Börsen unter dem Sektor der dezentralen Finanzsektor (Ebene 2) fällt. Und schliesslich ist der UNI-Token auf der Ebene 3 ein Governance-Token.

Die Vermögenswerte werden in folgende Kategorien eingeteilt: Kryptowährungen, verschieden Arten von Stablecoins (Collateralized, Anchored, Reflexive), ursprüngliche Währungen (etwa Ether, Solana), Staked Currency, Derivative Token, Governance Token, verschieden Arten von NFT.

Für die beiden grössten Währungen führt diese aufwändige Systematik zu folgender Klassifizierung:

Short cuts: News aus der digitalen Welt

Yi He – die Binance-Mitgründerin tritt ins Rampenlicht

Changpeng Zhao, der CEO von Binance, hat viel Kredit verspielt. Nicht nur, weil sein Unternehmen mit Token handelte, für die es nach Ansicht der US-Börsenaufsicht SEC eine Zulassung als Wertpapierfirma gebraucht hätte, sondern auch, weil Zhao Kundengelder mit denen einer separaten Handelsfirma, die ihm persönlich gehörte, vermischt und das Handelsvolumen «frisiert» haben soll.
Nun tritt Yi He vor die Mikrofone und verteidigt die angeschlagene Kryptobörse. In einer Reihe von Interviews argumentierte sie, dass das Unternehmen nicht der Antagonist sei, als der es in den Medien dargestellt werde. Sie bemühte sich auch um eine gute Atmosphäre mit den Aufsichtsbehörden. Sie betonte die Bedeutung der Regulierung für den Anlegerschutz und drückte ihren Respekt für die Regulierungsinstitutionen aus.

Yi He hat eine sehr enge Beziehung zu Zhao, mit dem sie in einer Wohngemeinschaft lebt. Sie haben gemeinsame Kinder. Es gebe jedoch keine Interessenkonflikte in der Führung, da sie und Zhao getrennte Teile des Unternehmens leiteten, sagte sie in einem Interview.Ihr Status geht über den der Mitbegründerin hinaus, da sie auch Binance Labs, den Risikokapitalfonds des Unternehmens, leitet. Ihr Einfluss innerhalb der Organisation war entscheidend für das Wachstum der BNB-Blockchain, und sie bestimmt, welche Token an der zentralisierten Börse notiert werden. Yi He war es auch, der Zhao in die Welt der Kryptowährungsbörsen einführte.

Um Yi He ranken sich viele Gerüchte. Da sie kaum Englisch spricht, ist sie bisher kaum öffentlich in Erscheinung getreten. Sie soll aber den grössten Anteil an Binance besitzen. Teilweise kursieren auch Gerüchte, sie habe enge Verbindungen zum chinesischen Staat und sei quasi eine «Agentin». Binance war stets bemüht, sich international nicht als chinesisches Unternehmen darzustellen.

Kennedy bringt sich als Pro-Bitcoin-Präsidentschaftskandidat in Position

Robert F. Kennedy junior – drittes Kind des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Robert Kennedy und Neffe des legendären US-Präsidenten John F. Kennedy – will in die Fussstapfen seines Onkels treten und Präsident der Vereinigten Staaten werden. Im Frühjahr dieses Jahres gab er seine Kandidatur offiziell bekannt. Kennedy ist ein grosser Bitcoin-Fan und sieht die Kryptowährung als Rettung vor einem angeblich drohenden Finanzkollaps. Erst vor wenigen Tagen schrieb der Politiker auf Twitter: «Als Präsident werde ich sicherstellen, dass Ihr Recht, Bitcoin zu nutzen und zu besitzen, unantastbar ist. Bitcoin ist nicht nur ein Bollwerk gegen Totalitarismus und die Manipulation unseres Geldes, sondern weist auch den Weg in eine Zukunft, in der staatliche Institutionen transparenter und demokratischer sind».

Kennedys Kritik richtet sich vor allem gegen die amtierende Biden-Administration, die aus Profitgier zu eng mit der Bankenindustrie zusammenarbeite. Mit dieser Attacke dürfte Kennedy einige Sympathien gewinnen. Mit dem mächtigen Finanzsektor und grosszügigen Wahlkampfspender verspielte er es sich aber.

Auch das digitale Geld liegt am liebsten in Schweizer Tresoren

Die Schweiz hat sich als weltweit führender Standort für die Verwahrung von digitalen Vermögenswerten wie Kryptowährungen, Token und NFT etabliert. Dies stellt der Swiss Digital Asset Custody Report 2023 fest, der von der globalen Initiative zur Förderung der Schweizer Blockchain-Industrie, Home of Blockchain.swiss, veröffentlicht wurde.

Der Bericht liefert erstmals umfassende Erkenntnisse zur Verwahrung von digitalen Vermögenswerten in der Schweiz. Mit einem regulatorischen Rahmen, der Innovation und Vielfalt fördert, ermöglicht das Land professionellen und institutionellen Anlegern einen konformen und sicheren Zugang zu digitalen Vermögenswerten.

«Private Märkte bergen das grösste Potenzial für digitale Vermögenswerte, insbesondere in Bereichen, die noch nicht an traditionellen Börsen gehandelt werden», wird Alexander Brunner, Autor des Berichts und Präsident von Home of Blockchain.swiss, zitiert. «Die Verwahrung bei der Erleichterung der institutionellen Adoption ist ausschlaggebend. Dabei ist die sichere Verwaltung der privaten Schlüssel entscheidend.»

In der Schweiz haben sich verschiedene Institutionen auf die Verwahrung von digitalen Vermögenswerten spezialisiert und etabliert. Im Rahmen des Berichts wurden insgesamt 34 Institutionen identifiziert, darunter etablierte Unternehmen wie Bitcoin Suisse und Crypto Finance sowie neuere Akteure wie die Berner Kantonalbank BEKB. 44.1% der Anbieter sind Banken wie Sygnum, Seba, Julius Bär und Vontobel, die neben der Custody auch Trading und Staking anbieten.

Der Swiss Digital Asset Custody Report wurde in Zusammenarbeit mit Switzerland Global Enterprise, der Swiss Banking Association, der Asset Management Association Switzerland, der Capital Markets and Technology Association und der Swiss Blockchain Federation erstellt. Hier kann man den Report herunterladen.

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