Digital Assets Briefing
Der Wert des Bitcoins ist innerhalb von wenigen Tagen von unter 27’000 Dollar auf annähernd 35'000 gesprungen. Was liegt hinter diesem Kursfeuerwerk? Wir haben bei Experten nachgefragt.
27. Oktober 2023 • Werner Grundlehner

Sowohl die Unsicherheit an den Aktienmärkten als auch die Geopolitik sowie die Aussichten auf die Zulassung von Bitcoin-ETF und das für 2024 anstehende Halving spielen gemäss Julian Liniger, Gründer und CEO von Relai, eine Rolle. «Blackrock CEO Larry Fink kommentierte eine vorherige Bitcoin-Rally mit Flucht in die Qualität, was den Sinneswandel in der Finanzbranche gut widerspiegelt». Das rufe gleichzeitig kleinere, wie grössere Investoren auf den Plan, die ein Ende des Krypto-Winters aufziehen sehen würden. Ausserdem seien mit den vergangenen Bitcoin-Halving stets Bullenmärkte einher gegangen. «Persönlich denke ich, dass der Bitcoin eigentlich schon früher höher gelegen wäre, wenn nicht Black-Swan-Ereignisse wie der FTX-Kollaps dazwischengekommen wären», fügt Liniger an.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• EZB startet Vorbereitung für digitalen Euro
• Mehr als die Hälfte der Schweizer Anleger hält Krypotwährungen


«Die jüngste Rallye ist ohne Zweifel auf die Vorwegnahme des Bitcoin-ETF zurückzuführen», findet Leon Curti, Head DeFi Strategy der Digital Asset Solutions AG. Marktteilnehmer würden die Genehmigung erst jetzt einpreisen, obwohl die Anzeichen für eine Zulassung seit dem juristischen Sieg des Krypto-Konglomerats Grayscale Ende August ersichtlich waren. Kombiniert mit einer kommenden Reduzierung des Verkaufsdrucks von Minern (Halving) im nächsten Jahr ergebe sich der perfekte Sturm. Die einzigartige Konzeption von Bitcoin ohne Mindestreserve, ohne Gegenparteirisiko und mit begrenztem Angebot macht die digitale Währung gemäss Curti zu einer idealen Absicherung gegen Marktunsicherheit. Mit der zunehmenden Institutionalisierung des Sektors werde diese Rolle in den kommenden Jahren voraussichtlich noch wichtiger werden.

Die «Negativ-Faktoren» schwächen sich ab

Man müsse zurückschauen, um zu verstehen, was der Kryptomarkt mitgemacht habe und bereits mittrage, sagt Krypto-Trader Patrick Heusser. «Seit der Bitcoin den Höchsstand von 69’000 Dollar erreichte, haben mehrere Skandale und Protokoll-Fehler, die Branche erschüttert und den Bitcoin-Preis bis auf 17’000 Dollar gedrückt». Das seien interne Probleme. Dazu kämen noch externe Probleme. In den vergangenen Monaten sei das Zinsumfeld gegen Krypto gelaufen – die Zinsen seien nur gestiegen. «So lange viel Geld im System ist, wie in den Jahren zuvor, so lange werden Risiko-Anlagen gesucht», so Heusser. Das habe vor mehr als einem Jahr gekehrt. Auch die Tech-Aktien werden als Proxy für Krypto gesehen. Wenn diese gut laufen, prosperieren auch Bitcoin & Co. Vor einigen Woche sei dann noch der Krieg zwischen Israel und Hamas dazu gekommen.

«Doch nun schwächen sich einige belastende Faktoren ab oder haben ihr Top erreicht», erklärt der Krypto-Trader. So würden US-Hedge-Funds nicht mehr auf weitere Leitzinsanhebungen wetten. Zudem hätten die Aktienmärkte kaum auf den Konflikt in Nahost reagiert. Diese Muster habe man schon in der Vergangenheit gesehen. Die Finanzmärkte reagierten nur, wenn die Erdölnotierung aus dem Ruder laufe.

Dann kommt gemäss Patrick Heusser noch das ETF-Thema hinzu. Es sehe so aus, als würden die Bitcoin-ETF nun bald eine Genehmigung durch die US-Börsenaufsicht erhalten. «Die grossen Häuser wie Blackrock, Fidelity und Invesco haben gut strukturierte Anträge eingereicht, die alle von der SEC bisher verlangten Punkte aufgreifen». Eine Zulassung ist in den nächsten Monaten zu erwarten, da sei ein «legales Frontrunning» am Markt nicht überraschend, so Heuser. Galaxy Research hat jüngst prognostiziert, dass ein solcher Bitcoin-ETF in den 12 Monaten rund 14 Milliarden Dollar einsammeln würde. Das wäre ein «wahnsinniger Preistreiber».

Dann gibt es gemäss Heusser am Kryptomarkt die gleichen Phänomene wie am traditionellen Markt zu beobachten: «Wenn sich die Kurse lange seitwärts bewegen und wenig passiert, versuchen Marktteilnehme mit Optionen in Carry-Trades Rendite zu erzielen». Dabei gehen die Händler mit Optionen short. Bewegt sich der Preis nach oben, müssen sie nachkaufen und die Aufwärtsbewegung verstärkt sich.

Lieber keine Prognosen

Eine Preisprognose will Heusser nicht machen: «Das habe ich nur einmal versucht.» Kurz nach Zulassung des ETF werde die Bitcoin-Notierung etwas sinken, denn auch hier gelte «Buy the rumour, sell the fact». Doch langfristig würde dies einen Nachfrageschub auslösen, weil viel neues Geld in den Markt fliesst. Das Halving ist für Heusser kein Thema, das den Kursverlauf beeinflusse. Es gebe zwei Lager: Das eine erwarte einen steigenden Kurs, für das andere sei das Halving ein rein technischer Vorgang, bei dem der Energie-Aufwand für das Schaffen eines Bitcoins erhöht und die Hash-rate (die Rechenleistung des Bitcoin-Netzwerks) reduziert werde. Doch langfristig sei die Hash-rate konstant am Steigen und auf einem All-Time-High.

Auch Liniger will keine konkrete Prognose für den Bitcoinwert abgeben: «Der Preis ist für viele Bitcoin-Enthusiasten nebensächlich, weil es für immer mehr Investoren darum geht, möglichst viel Bitcoin zu halten». Andere Metriken wie die gesamte Rechenleistung (Hash-rate) des Bitcoin-Netzwerkes oder die Marktkapitalisierung in Relation zu anderen Kryptowährungen sind gemäss Relai-CEO im Laufe des Krypto-Winters allesamt auf Allzeithochs geklettert. «Der Preis zieht im Grunde jetzt nur auf ein angebrachtes Niveau nach.»

«Alte» Experten machen den neuen Markt

Aus Sicht von Heusser funktionieren der traditionelle Aktien- und der Bitcoin-Markt vorerst gleich. Der Kryptomarkt, der erst zwölf Jahre alt ist, weise ein viel höhere Volatilität auf, da eine Positionierung für Investoren schwierig ist und die Vorlaufzeit dafür fehlt. Die Händler und Market Maker im Kryptomarkt kämen von traditionellen Häusern und agierten gleich wie bisher am Finanzmarkt. Deshalb würden liquide, vermeintliche Risiko-Assets als erstes abgestossen. «Langfristig könnten Krypto-Asset ausserhalb des traditionellen Marktes laufen und etwa auch ein Absicherungsinstrument gegen Inflation sein, wie etwa Immobilien, die auf lange Sicht stets an Wert gewinnen, während Fiat-Währungen verlieren», sagt Heusser.

«Bitcoin ist noch klein. Mit steigender Marktkapitalisierung, Handelsvolumen und auch Alter wird die Entwicklung vermutlich etwas berechenbarer werden», glaubt Liniger. Beim Bitcoin sei immer noch ein gewisses Mass an Unsicherheit dabei. Dass Bitcoin ein einzigartiger Vermögenswert sei, der mit den tausenden anderen Kryptowährungen wenig bis nichts gemein habe, komme erst jetzt langsam bei den Menschen an.

Curti führt eine Erklärung für die hohen Ausschläge an: «Im Vergleich zu den etablierten Aktienmärkten sind die Krypto-Märkte noch in ihrer Anfangsphase und daher weniger ausgereift. Der ständige Zugang zu Hebelprodukten rund um die Uhr konvergiert mit begrenzter Liquidität». In dieser Umgebung könnten unvorhergesehene Marktereignisse zu stärkeren Preisschwankungen führen. Für sophistizierte Marktteilnehmer würde dies eine Chance bieten, auf Fehleinschätzungen des Marktes zu wetten.

Gleich Vorgehen und Diversifizieren wie bisher

Für einen Neueinsteiger sind gemäss Heusser ETF gut geeignet – weil einfach und unkompliziert. «Damit kann er bei seiner Hausbank ohne zusätzliche Due Dilligence und Gegenpartei-Risiko und deutlich günstiger als mit Strukturierten Produkten in Kryptowährung einsteigen». Für Kryptoanlagen brauche es aber die gleiche Vorarbeit wie für jede Anlageberatung. Zuerst muss ein Risikoprofil des Investors erstellt werden und dann Renditeziele und Risiken der Anlagen (Plattformen) definiert werden.

Wenig überraschend rät Liniger, Neueinsteiger sollten zu einem regelmässigen Sparplan greifen. «Bei unserer App Relai geht das beispielsweise ab 10 Franken wöchentlich oder monatlich». Kurzfristige Ereignisse zu ignorieren, langfristig zu denken und regelmässig zu kaufen, sei und bleibe die beste Anlagestrategie bei Bitcoin.

«Bitcoin ist die älteste und grösste Kryptowährung gemessen an der Marktkapitalisierung. Er hat sich als zuverlässiges Medium für das Halten und Übertragen von virtuellem Vermögen etabliert», führt Curti aus. Für diejenigen, die sich unsicher fühlten, direkt mit einem Bitcoin-Wallet umzugehen, gebe es etwa an der Schweizer Börse gehandelte Produkte, die in Bitcoin investieren. «Doch die Welt der digitalen Assets geht mittlerweile weit über Bitcoin hinaus. Smart-Contract-fähige Blockchains wie Ethereum haben durch dezentrale Applikationen völlig neue Anwendungsfelder erschlossen und bilden die Grundlage für das sogenannte Web 3.0.», sagt Curti. Investoren sollten daher alle Facetten dieser neuen Anlageklasse berücksichtigen. In Zukunft könnten Allokationen in digitale Assets genauso diversifiziert sein, wie sie es heute in der traditionellen Finanzwelt bereits sind.




Short cuts: News aus der digitalen Welt

EZB startet Vorbereitung für digitalen Euro

Von zwei Jahre hat die Europäische Zentralbank (EZB) angekündigt, dass sie in die Vorbereitungsphase zur Einführung eines digitalen Euros gehen will. Auch diese Phase soll zwei Jahre dauern. In dieser Zeit solle der Grundstein für eine Einführung gelegt werden. Dazu gehört, dass «das Regelwerk fertiggestellt und Anbieter für die Entwicklung von Plattform und Infrastruktur ausgewählt werden», teilt die EZB mit. «Wir sehen einen digitalen Euro als eine digitale Form von Bargeld, mit der sämtliche digitalen Zahlungen kostenlos möglich sind und die die höchsten Datenschutzstandards erfüllt», sagt EZB-Chefin Christine Lagarde dazu. Der digitale Euro soll das Bargeld nicht ersetzen, sondern ergänzen, betonten die obersten Währungshüter der EZB. Grund für die geplante Einführung sei die sich rasch entwickelnde Digitalisierung der europäischen Wirtschaft. Während die Verwendung von Bargeld stetig abnimmt, gewinnen Online-Einkäufe und digitale Zahlungen an Bedeutung.


Mehr als die Hälfte der Schweizer Anleger hält Krypotwährungen

Punkto Akzeptanz von digitalen Währungen liegen die hiesigen Anleger deutlich über dem globalen Durchschnitt. 57 Prozent der Investoren halten in der Schweiz Kryptowährungen, während der weltweite Wert bei 37 Prozent liegt. Dies ist das Resultat einer Studie des Bankensoftware-Produzenten Avaloq. Die Anlegerumfrage 2023 beleuchtet die Grundlagen des Anlegerverhaltens in Europa und Asien. Die Umfrage wurde unter unter 3000 vermögenden bis sehr vermögenden Privatpersonen in sechs Märkten in Asien und Europa durchgeführt.

Von den Schweizer Investoren, die sich in Krypto-Währungen engagieren, tun dies 88 Prozent über eine Krypto-Börse – laut Avaloq eine ungenutzte Chance für die traditionellen Banken und Vermögensverwalter in der Schweiz. Von den Anlegern, die bislang noch nicht in Kryptowährungen investiert haben, zeigen 93 Prozent Interesse, dies bei ihrem traditionellen Finanzdienstleister zu tun, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Vor dem Hintergrund einer sich abkühlenden Weltwirtschaft und der Unsicherheit an den Märkten haben gemäss Studie die Schweizer Anleger in der Hoffnung auf langfristig bessere Renditen ihre Risikobereitschaft erhöht: 33 Prozent der Schweizer Anleger verfolgen einen sehr oder ziemlich aggressiven Ansatz in Bezug auf das Risiko. Im Vorjahr belief sich dieser Wert noch auf 21 Prozent.

Bezüglich ihrer Anlagepräferenzen gaben 57 Prozent der in der Schweiz befragten Personen an, in Investmentfonds zu investieren, was diese zur beliebtesten Wahl macht. Mit der Zulassung von kotierten Indexfonds auf Kryptowährungen durch die Finanzmarktaufsicht dürfte somit die Akzeptanz noch weiter zunehmen.

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