Umetikettierte Fonds
Die US-Börsenaufsicht geht gegen Goldman Sachs wegen angeblichem ESG-Etikettenschwindel vor. Eine Analyse zeigt die ganze Problematik von "nachhaltigen" Anlagen.
15. Juni 2022 • Beat Schmid

Die US-Börsenaufsicht SEC zieht die Schraube an. Nach DWS und BNY Mellon geht sie auch mutmasslichen Greenwashing-Verstössen bei Goldman Sachs nach. Konkret geht es um mehrere Fonds, die als ESG-Produkte bezeichnet sind. Das Kürzel steht für eine Anlagepolitik, die Rücksicht nimmt auf die Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Bekannt gemacht hat die Untersuchung das “Wall Street Journal”.

Ist wirklich Greenwashing im Spiel? Werden den Kunden falsche Versprechungen gemacht? Tippinpoint hat sich die Zusammensetzung des GS International Equity ESG Fund angeschaut, der sich im Visier der SEC befindet. Insgesamt haben Anleger dem Fonds 542 Millionen Dollar anvertraut. Lanciert wurde das Produkt im Jahr 1996 – also lange bevor ESG zu einem Mainstream-Anlagethema wurde.

Goldman-Fonds wurden in den letzten Jahren umbenannt

Der Fonds dürfte also wie viele andere Anlagevehikel in den letzten Jahren umbenannt worden sein. Gemäss SEC-Datenbank dürfte dies im Jahr 2018 geschehen sein. Früher hiess der Fonds Goldman Sachs Focused International Equity Fund. Beim umetikettierten Produkt setzen die Fondsmanager gemäss Prospekt auf den Ausschluss von Branchen wie Spielcasinos, profitorientierte Strafanstalten, Alkohol, Tabak, Kohle, Waffen sowie Förderung und Produktion von Öl und Gas. Gewisse Branchen auszuschliessen ist ein typischer Anlagestil von ESG-Investments.

Ebenfalls einen Bogen macht der Fonds um schlecht geführte Unternehmen, wie es weiter in den Unterlagen heisst. Zudem hält der Prospekt fest, dass bis zu 20 Prozent der Assets in Firmen investiert werden können, die durch das ESG-Raster fallen. Weitere Merkmale, die aber nichts mit ESG zu tun haben, sind: Der Fonds soll Titel von 30 bis 50 Unternehmen aus mindestens drei verschiedenen Ländern (Industriestaaten ohne USA) beinhalten.

In der aktuellen Zusammensetzung besteht der Fonds aus 34 Aktien. Die grössten Positionen sind: Iberdrola (spanischer Energiekonzern), Rentokil (Schädlingsbekämpfung), Zurich Insurance, Schneider Electric, Novo Nordisk, AstraZeneca, Neste (finnischer Rohstoffkonzern), Orix (japanische Bank), BNP Paribas, Reckitt Benckiser (Vanish, Cillit Bang etc.). Hier geht es zum PDF mit allen Titeln.

13 Firmen haben ein “mittleres” ESG-Risiko

Welche Unternehmen sind nun nachhaltig und welche nicht? Nimmt man die Scores von Sustainalytics, einem auf Nachhaltigkeit spezialisierten Datenanbieter, ergibt sich folgendes Bild: Von den 34 Aktien haben 19 ein “tiefes” und 1 Unternehmen ein “vernachlässigbares” ESG-Risiko. 13 haben ein “mittleres” und 1 Firma kommt auf ein “hohes” Risiko. Dabei handelt es sich um Taiwan Semiconductor.

Der Fonds investiert, wie im Prospekt versprochen, nicht in Firmen aus Ausschlussbranchen. Iberdrola und Neste sind zwar Energieunternehmen, doch Kohleaktivitäten verfolgen die Firmen nicht. Die spanische Iberdrola ist auch nicht in der Gas- und Öl-Produktion tätig.

Neste aus Finnland hingegen produziert in einer eigenen Raffinerie herkömmliche Treibstoffe wie Diesel und Benzin. Das Unternehmen verfügt auch über ein Netz mit 1000 Tankstellen. Es produziert aber auch aus einer Vielzahl von Altölen und -Fetten erneuerbare Brennstoffe, unter anderem auch Biotreibstoffe für die Flugindustrie. Weil die britische Band Coldplay auf ihrer Welttournee im Rahmen eines Sponsorings ihren Privatjet mit Neste-Kerosin betanken lässt, brachte das den Musikern den Vorwurf des Greenwashings ein.

Rentokil oder Cillit Bang sind nicht jedermanns Sache

Es liesse sich argumentieren, dass der Fonds gemäss Ausschlusskriterien nicht in Neste hätte investieren dürfen. Doch da die Firma nur 3,8 Prozent Anteil am Fonds hat, würde das Investment trotzdem den Vorgaben entsprechen. Weniger als 20 Prozent des Vermögens dürfen ja ausserhalb des ESG-Universums angelegt werden. Ausserdem kommt Neste auf einen Sustainalytics-Wert von 20,3, was knapp über der Schwelle zwischen einem “tiefen” und einem “moderaten” Risiko liegt.

Fazit: Aufgrund der verfügbaren Informationen, der formulierten ESG-Kriterien und der Zusammensetzung der Aktien lässt sich ein knallharter Greenwashing-Vorwurf wohl nur sehr schwer erheben. Die Krux an ESG ist, dass es zugleich alles und oftmals nichts heisst. Klar, man kann sich fragen, was Unternehmen in einem nachhaltigen Fonds zu suchen haben, die in der Schädlingsbekämpfung tätig sind oder Putzmittel wie Cillit Bang verkaufen. Darüber kann man die Nase rümpfen, doch versteckt oder unterschlagen werden diese Fakten nicht.

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