Interview
Neue Berichterstattungspflichten stellen Unternehmen vor grosse Herausforderungen. Der Aufwand für die Umsetzung der neuen Regeln ist beträchtlich, sagt Silvan Jurt, Partner und Leiter Nachhaltigkeitsdienste für Unternehmen bei KPMG.
19. Februar 2024 • Beat Schmid

Herr Jurt, was wird sich ab 2024 in der Schweiz in Bezug auf die nicht-finanzielle Berichterstattung genau ändern?

Silvan Jurt: Grundsätzlich hat sich die Landschaft bereits letztes Jahr in der Schweiz verändert, da die entsprechenden obligationenrechtlichen Bestimmungen seit Anfang 2023 in Kraft sind. Dies bedeutet zum Beispiel, dass die Sorgfaltspflichten bereits für das gesamte Jahr berücksichtigt werden müssen. Die Berichterstattung darüber erfolgt erstmals im Jahr 2024. Die Sorgfaltspflichten betreffen eine Vielzahl von Unternehmen, wobei die nicht-finanzielle Berichterstattung nur für Gesellschaften des öffentlichen Interesses ab einer gewissen Grössenordnung verpflichtend ist, beispielsweise für börsenkotierte Gesellschaften.

2024 ist ausserdem die Verordnung zur Klimaberichterstattung in Kraft getreten, womit sich im 2025 eine zusätzliche inhaltliche Verpflichtung in Bezug auf klimabezogene Themen ergibt. Parallel dazu entfalten auch die neuen Bestimmungen in der Europäischen Union ab 2024 schrittweise ihre Wirkung, wobei viele Schweizer Gruppen mit ihren Tochtergesellschaften ab 2025 (Reporting im 2026 über 2025) betroffen sein werden, allenfalls auch freiwillig auf Gruppenstufe. Eine Verpflichtung für Schweizer Gruppenmuttergesellschaften aus der europäischen Regulierung könnte sich dann voraussichtlich ab 2028 ergeben.

Was sind die wichtigsten Veränderungen?

Die wichtigste Änderung ist die verpflichtende Berichterstattung entlang der vom Gesetz vorgegebenen Inhalten, zum Beispiel im Bereich Umwelt, Soziales oder Menschenrechte. Das Gesetz nennt die entsprechenden Transparenzpflichten. Üblicherweise werden die entsprechenden Pflichten mit bestehenden Standards, insbesondere dem GRI SRS, umgesetzt. Die Berichterstattung erfolgt dann unter Bezugnahme auf das international renommierte TCFD-Rahmenwerk.

Der Bundesrat hat ausserdem angekündigt, dass er eine Verschärfung der Regelungen, beispielsweise auch in Bezug auf eine Prüfpflicht anstrebt. Mit Blick auf die europäischen Berichterstattungspflichten gehen die Anforderungen um ein Vielfaches weiter und verlangen nicht nur eine viel höhere Granularität der Daten, sondern auch eine bessere Verlässlichkeit, höhere Investorenrelevanz und deren digitale Verfügbarkeit.

Was sind für die Unternehmen die grössten Herausforderungen?

Der Aufwand für die Umsetzung der Anforderungen, insbesondere in der EU, ist beträchtlich, auch was die Reporting-Infrastruktur anbelangt. Viele werden Systemlösungen für die Automatisierung in Erwägung ziehen und auch neue Expertise für ihr Unternehmen gewinnen müssen. Die Verfügbarkeit von entsprechenden Expertinnen und Experten wird folglich zu einer der grössten Herausforderungen werden. Aber auch die Sicherstellung der Konsistenz in Strategie und Kommunikation wird viele Unternehmen fordern.

Wie gut sind die Firmen vorbereitet?

Viele Unternehmen verfügen bereits über eine Art Nachhaltigkeitsberichterstattung, meist unter Bezugnahme auf GRI. Mit Blick auf die Anforderungen im Bereich Klima und den umfassenden Pflichten in der EU stehen die meisten Unternehmen in der Schweiz aktuell aber erst am Anfang.

Welche Veränderungen in der Nachhaltigkeitsberichterstattung zeichnen sich für die kommenden Jahre ab?

Weitere Entwicklungen der Standards sind absehbar. Damit wird auch die Berichterstattung so schnell nicht zur Ruhe kommen. Ausserdem bedeutet die Zielsetzung der Gesetzgeber einer Äquivalenz zwischen finanzieller und nicht-finanzieller Berichterstattung auch zusätzlichen Druck durch Regulierungsbehörden und eine Professionalisierung des ESG-Accountings.

Welches sind die grössten Unterschiede zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in der EU?

Die Berichterstattung in der EU ist sowohl bezüglich Themenbreite als auch bezüglich der Anzahl Datenpunkte umfassender und konkreter. Die erhöhte Granularität wird viele Unternehmen dazu zwingen, fundierter beziehungsweise wissenschaftlicher vorzugehen. Hinzu kommt, dass sich die Berichterstattungsgrenzen verschieben, und zwar über die eigene Einheit beziehungsweise kontrollierte Einheiten hinaus auf vorgelagerte Prozesse in der Wertschöpfungskette. Dies bringt zusätzliche Herausforderungen hinsichtlich der Datenverfügbarkeit mit sich.

Die konzeptionelle Erweiterung um die sogenannte «Outside-in»-Perspektive, welche die Frage bezüglich finanzieller Auswirkungen externer Einflussfaktoren wie Klimawandel oder Biodiversität stellt, bringt eine Erhöhung der Investorenrelevanz mit sich. Als Konsequenz daraus steigt der Anspruch an Konsistenz und Integration, sowohl bezüglich Reporting als auch im gesamten Governance Framework. Und schliesslich wird durch die Einführung einer Prüfpflicht in der EU auch der Verlässlichkeit der publizierten Daten Beachtung geschenkt, was wiederum Auswirkungen auf die internen Prozesse und Kontrollen haben wird.

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