Digital Assets Briefing
Die Nervosität an den Finanzmärkten steigt und die Anzeichen häufen sich, dass sich der Kryptobereich einer heftigen Korrektur nicht entziehen kann. +++ Dazu: Der Bundesrat will Stablecoins ermöglichen.
24. Oktober 2025 • Werner Grundlehner

Nicht nur Weihnachten steht vor der Tür – es geht auch auf einen Crash an den Finanzmärkten zu. Zumindest wenn man vielen Fachmedien und Anlagestrategen glaubt. Erstere sind auf «Clicks» und Neuleser aus und Letztere warnen teilweise schon seit Jahren vor dem Platzen der Bewertungsblase an der Börse. Es ist aber nicht verwunderlich, dass die Angst vor einer heftigen Kurskorrektur zunimmt. Seit der Kursbaisse vor fünf Jahren zu Beginn der Corona-Pandemie haben sich die Notierungen an den grossen Börsen der westlichen Welt mehr als verdoppelt. Der amerikanische S&P-500-Index ist inklusive Dividenden um mehr als 170 Prozent geklettert. Das Wirtschaftswachstum in Europa und den USA hinkte dieser Entwicklung deutlich hinterher.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• Der Bundesrat will Stablecoins ermöglicht
Wie geht es weiter mit 21Shares?


Die Begeisterung über Cloud Computing und Künstliche Intelligenz liess Anleger makroökonomische Schwächen, Zollkonflikt und geopolitische Auseinandersetzungen in der Ukraine und Nahost vergessen. Die Bewertungen bewegen sich wieder auf dem Niveau der Dotcom-Blase. Zudem ist immer noch viel Liquidität in den Märkten. Als Kehrseite dieser Liquiditätsspritzen zur Corona-Zeit weisen viele Staaten kaum mehr tragbare Verschuldungsniveaus auf.

Wo ist das Geld noch sicher?

Da stellt sich nun die Frage, wo der Anleger sein Geld in Sicherheit bringen kann. Schnell denkt man da an Kryptowährungen. Die bewegen sich in einer dezentralen Finanzstruktur, die zensurresistent und unabhängig von der traditionellen Bankenwelt ist. Doch ist das wirklich so? Mittlerweile sind die Verbindungen zum traditionellen Finanzsektor eng – vor allem für den Bitcoin.

«Historische Daten zeigen, dass kryptobasierte Vermögenswerte wie Bitcoin in Phasen erhöhter Marktvolatilität teilweise stark mit traditionellen Anlageklassen korreliert waren. In solchen Phasen können Liquiditätsengpässe, Margin-Calls oder eine generelle Risikoaversion auch im Kryptomarkt zu Kursrückgängen führen», sagt Sandro Brühlmann, Senior Business Development Manager Digital Assets bei PostFinance. Gleichzeitig gebe es Argumente, wonach bestimmte Marktteilnehmer Bitcoin und andere Kryptowährungen langfristig als alternative Anlageform oder als Absicherung gegen Inflation betrachten. Ob sich dies in einer akuten Stressphase tatsächlich durchsetzt, bleibe allerdings offen und hänge stark von Marktstruktur, Regulierung und Investorenverhalten ab.

In Finanzprodukten und Bilanzen

Deutlich über 150 Milliarden Dollar sind in Bitcoin-Spot-ETF investiert, das sind kotierte Indexfonds, die den Wert des Bitcoins abbilden und dementsprechend auch mit der Kryptowährung hinterlegt sind. Noch etwas mehr dürfte in Bitcoin-ETP investiert sein – Schätzungen gehen von mindestens 170 Milliarden Dollar aus. Exchange Traded Products werden vor allem dort genutzt, wo Krypto-ETF (noch) nicht zugelassen sind. Also in den meisten Ländern ausserhalb der USA.

Über 180 Milliarden Dollar in Bitcoins werden von Treasury-Unternehmen in der Bilanz gehalten. Dieses Geschäftsmodell, das von MicroStrategy (heute Strategy) lanciert wurde, wird mittlerweile von vielen Unternehmen kopiert. Mining-Unternehmen halten aufgrund ihres Unternehmenszwecks, dem «Schürfen» von Bitcoins, grosse Bestände in der Bilanz. Kaum Zahlen gibt es zu Bitcoin-Beständen, die Banken ihren Kunden zugänglich gemacht haben über die Zusammenarbeit mit Krypto-Dienstleistern.

«Bitcoin weist heute eine deutlich breitere und institutionellere Anlegerbasis auf als noch vor einigen Jahren», hält auch Brühlmann fest. Neben Retail-Anlegern seien mittlerweile auch institutionelle Finanzinstitute wie Fonds, börsengehandelte Produkte (ETF/ETP), Pensionskassen und Banken investiert. Ein Grossteil dieser institutionellen Investoren verfolge eher langfristige Anlagehorizonte und strategische Allokationen, die nicht zwingend kurzfristig auf Marktschwankungen reagieren würden.

Dadurch könnte der Verkaufsdruck in Stresssituationen teilweise gedämpft werden. «Gleichzeitig erhöht die stärkere Integration in das traditionelle Finanzsystem aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass makroökonomische oder liquiditätsbedingte Schocks auf den Krypto-Markt übergreifen. Somit bleibt es abzuwarten, wie sich etablierte kryptobasierte Vermögenswerte unter diesen Bedingungen verhalten werden», ergänzt der Postfinance-Experte.

Gefährlicher Herdentrieb

Ein grosser Anteil der Bitcoins ist also im traditionellen Finanzsystem hinterlegt. Was würde in einem Börsencrash nun passieren? Investoren neigen zum Herdenverhalten. Wenn Panik ausbricht, wird alles verkauft. Kryptowährungen haben sich in jüngster Vergangenheit eng mit Technologieaktien bewegt. Diese Titel wie Nvidia, Microsoft oder Broadcom sind hoch bewertet und gelten als volatil. Verdüstern sich die Aussichten, werden sie als erstes verkauft – auch weil viele Investoren einen Teil der Kursgewinne aus der Vergangenheit noch mitnehmen wollen.

Hält die Börsenkorrektur an, folgen die Margin Calls – die Banken fordern ihre Kunden auf, die Deckung bei Krediten einzuhalten, die aufgenommen wurden, um weitere Wertschriften zu kaufen. Viele Kunden müssen dann weitere Assets verkaufen. In diesen Teufelskreis werden auch die Bitcoin-ETF und sonstige Kryptobestände kommen. Das gleiche gilt für die Treasury-Unternehmen – gerade Strategy hat den grössten Teil des Bitcoinbestandes mit einem hohen Leverage erworben.

Verluste und «tote» Wallets

Dass die Manövriermasse an Bitcoin zudem deutlich kleiner ist, als das Marktvolumen von 2200 Milliarden Dollar vermuten lässt, verdeutlicht auch der Umstand, dass gemäss Schätzungen bis zu 20 Prozent aller Bitcoins durch Fehlmanipulation, technische Pannen oder fehlendes Interesse in den Anfangsjahren mittlerweile unwiderrufbar verloren sind. Fast der gleich hohe Prozentsatz an Coins befindet sich auf privaten Wallets, die seit über einem Jahrzehnt nicht mehr bewegt wurden. Ein Teil davon könnten sehr langfristige «Hodlers» sein, die Bitcoin kaufen, um zu halten (hold). Aber ein Teil davon dürfte auch nie mehr auf den Markt kommen. Ist das verfügbare Volumen enger als erwartet, lösen hohe Verkaufsvolumen auch einen grösseren Kurseffekt aus.

Wie nervös die Marktstimmung ist, zeigte sich am 10. Oktober, als US-Präsident Donald Trump neue Einfuhrzölle von 100 Prozent für Waren aus China verhängte. Im Kryptomarkt wurden innert weniger Stunden 19 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung ausgelöscht, weil es zu hohen Liquidationen bei gehebelten Positionen kam, da Panikverkäufe und geringe Liquidität starke Schwankungen auslösten. Die gesamten offenen Futures-Positionen an den wichtigsten Börsen gingen um 43 Prozent zurück und fielen von 217 Milliarden am 10. Oktober auf 123 Milliarden Dollar am 11. Oktober.

Digitales wie «richtiges» Gold?

Jetzt wird aber der Bitcoin oft als «digitales Gold» betrachtet. Viele Marktteilnehmer sehen in der Kryptowährung das Wertaufbewahrungsmittel der Zukunft. Gold wird gekauft, um sich gegen Unwägbarkeiten abzusichern. Wenn die traditionelle Finanzwelt zusammenbricht, wird die älteste Währung der Welt ihren Wert halten, so die Überzeugung der «Goldbugs». Doch auch am Goldmarkt ist nicht nur Stabilität der Treiber. Die Notierung wurde insbesondere von Notenbanken – allen voran jene von China – angetrieben, die ihre Dollarbestände in das Edelmetall umschichten. Die Rekordjagd des Goldpreises hat viele Privatanleger auf den Plan gerufen, die nicht ewige Stabilität suchen, sondern kurzfristige Gewinne. Eine heftige Korrektur am 20. Oktober hat gezeigt, dass der Goldmarkt auf einem Niveau von 110'000 Franken pro Kilo auch schnell nervös wird.

«Ob Kryptowährungen in Krisenzeiten als sicherer Hafen fungieren können, kann nicht pauschal gesagt werden», sagt Sandro Brühlmann. In der Vergangenheit habe sich ein gemischtes Bild gezeigt: In einzelnen Phasen kam es zu Kapitalabflüssen in Richtung traditioneller Anlagen wie Bargeld oder Gold, während in anderen Situationen kryptobasierte Vermögenswerte temporär als Alternative wahrgenommen wurden. Andere Kryptowährungen, etwa Stablecoins, könnten in solchen Phasen als temporärer «Parkplatz» dienen, bergen aber gemäss Postfinance-Experte je nach Emittent und Deckungsstruktur eigene Risiken. Insofern bleibe Bitcoin, trotz seiner Schwankungen, der am ehesten ein «relativer Safe Haven» im Kryptobereich.

Faktor Aufbewahrung

Ein zusätzlicher Aspekt in Stresssituationen betrifft gemäss Brühlmann die Aufbewahrung der Kryptoanlagen. Wer seine Bestände beispielsweise über eine regulierte Bank halte, profitiere von klaren rechtlichen Rahmenbedingungen, geprüfter Verwahrung und etablierten Sicherheitsprozessen. Gerade in Marktphasen mit hoher Unsicherheit könne dies ein entscheidender Vorteil sein, da weniger stark regulierte Anbieter, etwa ausländische Kryptobörsen, in solchen Situationen möglicherweise anfälliger für operative Probleme, Liquiditätsengpässe oder gar Ausfälle sein können. «Somit kann die Verwahrung über eine Bank das Gegenparteirisiko reduzieren und für zusätzliche Stabilität sorgen», führt Brühlmann aus.

«Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Kryptowährungen ein junges und dynamisches Marktsegment darstellen, dessen Verhalten in Extremsituationen noch nicht abschliessend erforscht ist. Entsprechend ist Zurückhaltung bei pauschalen Schlussfolgerungen angebracht», schliess der Postfinance-Experte.




Short cuts: News aus der digitalen Welt


Der Bundesrat will Stablecoins ermöglicht

Was am 10. Oktober am von der ehemaligen Ständerätin Pascale Bruderer initiierten Roundtable von Vertretern der Finanzindustrie, der Realwirtschaft, von Behörden und Wissenschaft diskutiert wurde, kommt nun ins Rollen. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom Mittwoch dieser Woche die Vernehmlassung zu einer Änderung des Finanzinstitutsgesetzes (Finig) im Zusammenhang mit Blockchain und Stablecoin eröffnet.

Die bisherige Praxis verhinderte de facto, dass Stablecoins in der Schweiz emittiert werden können. Gemäss der Mitteilung besteht das Ziel der Vorlage darin, «die Rahmenbedingungen für die Marktentwicklung, die Standortattraktivität sowie die Integration innovativer Finanztechnologien in das bestehende Finanzsystem zu verbessern. Zugleich sollen damit verbundene Risiken bei der Finanzstabilität, der Integrität und des Anleger- und Kundenschutzes eingedämmt werden». Vor diesem Hintergrund schlägt der Bundesrat zwei neue Bewilligungskategorien vor. Einerseits die Zahlungsmittelinstitute, welche die bestehende «Fintech-Bewilligung» ablöst und zweitens das Krypto-Institut.

Inhaltlich orientiere sich die neuen Bewilligungs- und Tätigkeitvoraussetzungen an denjenigen für Wertpapierhäuser, seien aber weniger umfassend ausgestaltet, da Krypto-Institute keine Dienstleistungen mit Finanzinstrumenten erbringen. Krypto-Institute und andere Institute, die Dienstleistungen mit Kryptowährungen erbringen, würden zudem gewisse Anforderungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten zu erfüllen haben.


Wie geht es weiter mit 21Shares?

Nach dem Verkauf an den US-Broker FalconX soll der Schweizer Kryptodienstleister seinen Betrieb möglichst unabhängig weiterführen. Doch die beiden Gründer Hany Rashwan und Ophelia Snyder dürften sich bald anderen Projekten zuwenden. Hier geht es zum Artikel.

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