Haben Europa und die traditionelle Finanzindustrie bei Stablecoins den Anschluss verpasst? Die privaten US-Projekte Tether und USD-Coin (Circle) beherrschen den Löwenanteil des Währungsgeschäfts mit Blockchain-basierten Währungen, die den Wert von Fiat-Währungen wiedergeben – in diesem Fall dem Dollar. Ein Experte schätzte kürzlich, dass bereits 15 Prozent des Aussenhandels von Grossbritannien mit Dollar-Stablecoins abgewickelt würden, mit entsprechenden negativen Folgen für die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs.
Und in den Short Cuts diese Woche:
• Flash Crash: Was am vergangenen Freitag geschah
• «Shutdown» auch für Krypto-ETF
Doch nun scheint ein Weckruf erfolgt zu sein. Vor kurzem haben zehn globale Grossbanken darunter die Bank of America, die Deutsche Bank, UBS, Barclays, Santander und BNP Paribas angekündigt, gemeinsam einen Stablecoin zu emittieren. Der Blockchain basierte Coin soll an G7-Währungen gekoppelt sein, teilten die betroffenen Banken mit. Das Projekt befinde sich noch in einem frühen Stadium. Diese G7-Stablecoins sollen die Markteffizienz verbessern, während gleichzeitig die vollständige Einhaltung der regulatorischen Anforderungen und bewährter Verfahren im Risikomanagement gewährleistet seien.
«Wir profitieren vom frühen Start»
Vor einer Woche trafen sich für einen Austausch zu regulierten Schweizer Stablecoins rund 60 Vertreter aus Finanzindustrie, Realwirtschaft, bundesnahen Betrieben, Behörden und Wissenschaft. Eingeladen zu diesem Roundtable hatte die Gründerin von Swiss Stablecoin, Pascale Bruderer. Ein Thema war, wie Stablecoins als Brückenbauer zwischen der dezentralisierten Welt und der regulierten Finanzindustrie gesehen werden können. Auch Beispiele für innovative Stablecoin-Anwendungen von der Sygnum Bank, UBS und PostFinance wurden präsentiert.
«Ganz im Gegenteil – die Partnerschaftsgespräche laufen so intensiv wie nie zuvor», antwortet Pascale Bruderer auf die Aussage von tippinpoint, dass es um Swiss Stablecoin ziemlich ruhig geworden sei. «Wir profitieren davon, dass wir früh gestartet sind: Swiss Stablecoin hat in den vergangenen zwei Jahren nicht nur die CHFD Plattform entwickelt und getestet, sondern dank Dialog und klarem Bekenntnis zum regulierten Setting auch eine starke Positionierung erarbeitet». So stehe das Projekt nun zum richtigen Zeitpunkt mit einem reifen Umsetzungsmodell bereit. Dieses lasse technisch und regulatorisch auch einen Start auf heutiger Gesetzesgrundlage zu. Eine Anpassung der Regulation sei jedoch zentral, um den Anwendungsbereich zu verbreiten und Rechtssicherheit zu schaffen.
Finma schockte die Branche
Die Aufsichtsmitteilung der Finanzmarktaufsicht (Finma) vom Juni 2024 mit dem Titel «Stablecoins: Risiken und Anforderungen für Stablecoin-Herausgebende und garantiestellende Banken» war für die Branche ein Schock. Es schien, als verunmögliche der Regulator eine Herausgabe von Stablecoins in der Schweiz. Doch der Gesetzesrahmen für Stablecoins befindet sich in der Schweiz aktuell in Überarbeitung. Eine vom Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) in Aussicht gestellte Vorlage wird erwartet. Gemäss Teilnehmer des Roundtables kommt diese angesichts internationaler Entwicklungen zum richtigen Zeitpunkt. Die Schweiz erhalte damit die Möglichkeit, ein verlässliches Fundament zu legen für die Herausgabe von Stablecoins sowie dafür, ihre Stärken in Finanzstabilität, Rechtssicherheit und Innovationsfähigkeit miteinander zu verbinden.
«Mit dieser Aufsichtsmitteilung hat die Finma die Praxis für Stablecoin-Emissionen präzisiert etwa Default-Garantien, strengere Kundenidentifikation und Anti-Geldwäscherei-Vorgaben, Hinweise auf Sanktions- und Reputationsrisiken. Das war in der Branche spürbar restriktiv, obwohl es formal nur Anwendung und Interpretation der Finma in Bezug auf bestehendes Recht war», sagt Phil Dettwiler, von Crypto Finance, einer Schweizer Tochter der Deutschen Börse. Er teile die Meinung des SIF und der Schweizerischen Bankiervereinigung, dass der bestehende Rechtsrahmen der Schweiz für Stablecoins grundsätzlich geeignet sei und dass Anpassungen eher in den Interpretationen als bei den Gesetzesgrundlagen vorzunehmen seien. In der Schweiz gebe es aktuell mehrere politische bzw. branchengetriebene Anstösse, die präzisere, innovationsfreundliche Leitplanken für einen regulierten Franken Stablecoin forderten, also ein Feintuning der bestehenden Regelungen und nicht eine komplette Gesetzesnovelle.
Mehr und mehr Banken engagieren sich
«Ohne Zweifel erfahren wertstabil auf Fiat-Basis hinterlegte Stablecoins aktuell ein starkes Momentum. Die Kombination aus forciertem Marktwachstum einerseits sowie gestiegener Rechtssicherheit – dank regulativer Einbettung – andererseits führt dazu, dass sich auch mehr und mehr Banken engagieren. So vergeht derzeit kaum eine Woche ohne Ankündigung neuer Stablecoin Projekte», sagt Pascale Bruderer. Der Dynamik könne sich auch die Schweiz nicht entziehen. Ein mit Schweizer Franken hinterlegter Stablecoin als souveränes und reguliertes Angebot liege eindeutig im ureigenen Interesse unseres Finanz- und Innovationsplatzes. Diese Botschaft sei auch am Roundtable vom vergangenen Freitag deutlich geworden. Deshalb sei die Gesetzesvorlage des SIF nicht nur wichtig, sondern dringlich.
Ebenso wichtig und erfreulich sei gleichzeitig, dass nun gewichtige Akteure die strategische Relevanz von Stablecoins aktiv betonen würden. Es reiche nicht, auf die politische Verantwortung für geeignete Rahmenbedingungen zu pochen – sondern es brauche schlussendlich auch konkrete Projekte in der Umsetzung. «Das Interesse daran und die Bereitschaft zu wachsen, besteht derzeit in der Schweiz definitiv, das spüren wir seitens Swiss Stablecoin deutlich», so die Swiss-Stablecoin-Initiantin.
Ein geringer Mehrwert gegenüber bestehendem Zahlungssystem
Hat sich die Schweiz, die mit ihrer DLT-Regulierung als Vorreiter galt, beim Stablecoin einen Rückstand eingehandelt? In der EU würden die MiCA-Regeln für Stablecoins (ART/EMT) bereits seit dem 30. Juni 2024 gelten, führt Dettwiler aus. Das Vereinigte Königreich befinde sich noch im Aufbau (BoE/FCA-Konsultationen 2025, geplante Haltegrenzen). Der Genius Act von 2025 markiere in den USA den ersten umfassenden bundesgesetzlichen Rahmen für Stablecoins; allerdings treten zentrale Pflichten (Emissionen nur über genehmigte Emittenten, Übergang von Landes- zu Bundesaufsicht) erst 2026 oder später in Kraft, und viele Details liegen noch in der Ausgestaltung.
«Die Schweiz verfolgt im Finanzmarktrecht seit Jahren den Ansatz der prinzipienbasierten, technologieneutralen Regulierung und hat bereits 2019 klargemacht, wie Stablecoins zu qualifizieren sind», sagt der Crypto-Finance-Experte. Dass seither nicht viel gelaufen sei, interpretiere er weniger als regulatorische Schwäche, sondern als Folge der geringen Mehrwertdifferenz gegenüber einem sehr effizienten Zahlungssystem (SIC5/Instant Payments) sowie einer gewissen marktseitigen Trägheit. Mit wachsender Kritik an Karten- und Twint-Gebühren nehme der Druck nun zu.
Das Vorgehen der Schweiz zeigt sich auch beim Staking: Ende 2023 publizierte die Finma ein Rundschreiben zu Staking-Services, wobei der Kundenschutz im Insolvenzfall im Fokus stand. Branchenfeedback kritisierte zunächst die Einordnung und Bestandsführung; danach folgten Präzisierungen, die u. a. einen Weg eröffneten, gestakte Kundenwerte ausserbilanzlich zu führen, worauf es gemäss Dettwiler in der Praxis ruhiger wurde. Er fasst zusammen: «Regulatorisch sehe ich keinen strukturellen Rückstand der Schweiz – wohl aber bei der Adoption».
Die neue Liebe von Lagarde
Augenfällig ist auch, mit welcher Verve die EZB-Vorsitzende sich jüngst für den E-Euro einsetzt. Es scheint, als habe sich Christine Lagarde in ihr Projekt für digitales Notenbank-Geld verliebt. Die europäischen Notenbanker wollen aber einen digitalen Euro, der nicht von privaten Anbietern herausgegeben wird, sondern von der Zentralbank. Die EZB-Chefin wird nicht müde, die wirtschaftlichen Vorteile und die finanzielle Inklusion, die der digitale Notenbank-Euro bringen werde, zu preisen. Zudem wird von Lagarde die Autonomie von US-Anbietern im Zahlungsverkehr wie PayPal als Argument für den digitalen Euro genannt.
Die USA gehen den umgekehrten Weg, mit dem Genius-Act wurde die Herausgabe eines staatlichen E-Dollar untersagt. In den Vereinigten Staaten sollen private Anbieter, die staatlich überwacht werden, Stablecoins herausgeben. Dieses Konzept hat Erfolg und dominiert mit grossen Emittenten wie Tether, Circle (USD-Coin) und Ripple den globalen Markt fast zu 100 Prozent. Allerdings ist das nicht die Folge der Regulierung – diese Dollar-Coins waren schon lange vorher auf dem Markt. Auf der anderen Seite verunmöglicht die europäische Regulation den Einsatz von Tether in der EU.
Wie viele Stablecoins wird es geben?
In der Schweiz und in Europa haben jüngst einige Unternehmen, Banken oder Interessensgruppen ihre Stablecoin-Pläne präsentiert. Wie viele Stablecoins sieht die Swiss-Stablecoin-Initiantin dereinst in der Schweiz? «Ob sich mehrere Angebote etablieren oder ob sich ein breit genutzter Schweizer Franken Stablecoin mit Infrastrukturpotenzial entfaltet – wir werden es sehen. Wichtig ist, dass das Feld eines solchen digitalen Frankens nicht ausländischen Stablecoin Anbietern überlassen wird», gibt Bruderer darauf zu Protokoll.
Auf die Frage, ob sie früher oder später einen Franken Stablecoin der SNB (einen Retail CBDC, Central Bank Digital Currency) sehe, antwortet Bruderer: «Die klar kommunizierte Haltung der SNB, sich punkto digitale Zentralbankwährung auf den Wholesale Bereich zu fokussieren, scheint mir ordnungspolitisch absolut nachvollziehbar. Es gibt keinen Grund, an der bewährten Rollenteilung etwas zu ändern». Mit dem soeben verlängerten Pilotprojekt Helvetia biete die SNB bereits einen digitalen Franken im Austausch zwischen Finanzinstituten an. Bei der Zugänglichkeit für die übrigen Unternehmen und die Bevölkerung sind gemäss Bruderer jetzt entsprechend privatwirtschaftliche Angebote gefragt. «Ein Schweizer Franken Stablecoin ist in dieser Gesamtsicht also die passende Ergänzung, damit innovative Anwendungen in der Breite möglich werden».
Exportschlager digitaler Franken
Ein Schweizer Banker weist darauf hin, wie gesucht der Franken als «Safe Haven» sei. Ein stabiler digitaler Franken wäre deshalb nach seiner Meinung auch im Ausland ein «Verkaufsschlager». Das sieht Pascale Bruderer ähnlich: Stablecoins seien multifunktional: Die Einbindung in Smart Contracts lasse viele und unterschiedliche Anwendungen zu. Aktuell beobachte man – über die bereits starke Nutzung im DeFi hinaus – eine Ausdehnung in weitere Bereiche wie grenzüberschreitende Zahlungen oder Treasury Management. Stablecoins werde das Potenzial zugesprochen, sich zu einem Baustein der regulierten Zahlungsinfrastruktur zu entwickeln. «Entsprechend gut positioniert wird ein Franken-basierter Stablecoin sein, der für Schweizer Rechtssicherheit und Innovation steht».
«Retail-CBDC und Stablecoins stehen grundsätzlich in Konkurrenz», sagt Dettwiler. Da die SNB jedoch klar argumentiere, dass es keinen Retail-CBDC geben werde, wäre ein erfolgreicher Franken-Stablecoin grundsätzlich denkbar. Wie schon in seinem Narrow-Banking-Projekt geht Dettwiler davon aus, dass das Volumen eines Franken-Stablecoins aufgrund der Attraktivität und Stabilität des Franken überproportional gross sein könnte – gemessen am relativen Schweizer Anteil am globalen BIP.
Schaukelt sich die Zuversicht auf?
Angesichts des grassierenden Stablecoin-Hypes kommt der Verdacht auf, dass die Assetklasse zu positiv gesehen und Probleme wie Gegenparteirisiko und Liquiditätsprobleme der Sicherheiten, die etwa aus Geldmarktfonds und Staatsanleihen bestehen, bei einem «Bankrun» unterschätzt werden. «Mit richtiger Ausgestaltung, etwa kurzfristige, hochwertige Reserven; tägliche Par-Redemption, Treuhand-Segregation und Audit sind Gegenparteirisiken gut begrenzbar. In Extremlagen könnte die SNB Liquiditätsengpässe überbrücken – politisch heikel, aber prinzipiell möglich, insbesondere wenn Banken oder Bank-Konsortien emittieren», meint darauf der Crypto-Finance-Experte.
Doch Risiken bestehen durchaus. Internationale Institutionen warnen gemäss Dettwiler, dass eine breite Nutzung ausländischer Stablecoins die Monetärsouveränität aushöhlen könne. Ein dominanter Dollar-Stablecoin im Inland könnte Inflations- und Zinsimpulse importieren. Ein eigener, vertrauenswürdiger Franken-Stablecoin sowie klare Regeln zu Interoperabilität, Schutz vor Geldwäscherei und Beschränkungen beim Einsatz systemischer Fremdwährungs-Token könnten diese Gefahr deutlich reduzieren.
Short cuts: News aus der digitalen Welt
Flash Crash: Was am vergangenen Freitag geschah
Nach Wochen hoch und stetiger Zuflüsse in Krypto-Anlageprodukte und neuen Höchstständen wurde der Kryptomarkt vergangenen Freitag von Panik erfasst. Innerhalb weniger Stunden brachen die Kurse von Bitcoin und anderen führenden Coins ein und auch die grössten Handelsplattformen stiessen an ihre Belastungsgrenzen. Der plötzliche Einbruch erfasste selbst grosse Assets, und auch Stablecoins und DeFi-Protokolle kamen deshalb unter Druck. In diesem Chaos kam es auch zu zahlreichen Fehlpreisen und Handelsstopps. «Die erneute Entfachung eines US-Handelskonflikts mit China war der ursprüngliche Auslöser der Korrektur, die sowohl die Krypto- als auch die Aktienmärkte erschütterte. Das Ausmass der Einbrüche bei den meisten Kryptowährungen wurde jedoch durch den Einsatz von Leverage an den Derivatemärkten deutlich verstärkt», sagt dazu Stefan Höchle, Head Investment Strategy der Digital Asset Solutions AG. Sobald fremdfinanzierte Positionen infolge starker Preisverluste zwangsverkauft würden, komme es zu sogenannten Liquidationskaskaden, die die Kurse in immer tiefere Niveaus drücken. Genau das sei in der vergangenen Woche der Fall gewesen und habe zu Zwangsverwerfungen im Umfang von über 30 Milliarden Dollar geführt.
Marktbeobachter sagen nun das Ende zahlreicher Altcoins voraus, da Investoren, die im jüngsten Boom erstmals investiert hätten, gravierende Verluste erlitten hätten und sich definitiv zurückziehen würden. Gerade in solchen scharfen Korrekturphasen trennt sich gemäss Höchle sprichwörtlich die Spreu vom Weizen. «Projekte mit einem soliden Fundament erholen sich im Zeitverlauf und finden einen stabilen Boden, während Anlagen mit einer ausgeprägten Spekulationsprämie deutlich stärker unter Druck geraten», führt er aus. Wie schon so oft in der Vergangenheit zeige sich, dass ein breit diversifizierter Ansatz sinnvoll sei, der Gewinner nicht aktiv zu selektieren versuche, sondern den Gesamtmarkt abbilde und sich automatisch an solche Verschiebungen anpasse.
«Shutdown» auch für Krypto-ETF
Der Shutdown in den Vereinigten Staaten geht in die dritte Woche. Der US-Senat hat am Dienstag zum achten Mal einen Gesetzentwurf zur Wiedereröffnung der Regierung abgelehnt. Das bedeutet, dass die Gesetzgeber immer noch weit davon entfernt sind, einen Konsens zu erzielen. Der anhaltende Stillstand der US-Regierung erweist sich als regulatorische Hürde auf Zeit: Mindestens 16 Krypto-ETF-Anträge liegen bei der SEC auf Eis – darunter Produkte zu Solana, XRP, Litecoin und Dogecoin. Löst sich die politische Blockade zügig, dürften die Genehmigungen Ende Oktober oder im November erfolgen. «Kurzfristig mag dies die Marktstimmung belasten, schliesslich wartet institutionelles Kapital in Milliardenhöhe auf grünes Licht. Doch der Blick aufs grosse Ganze zeigt: Das Ökosystem ist längst erwachsen geworden», schreibt Vugar Usi Zade, COO des Kryptodienstleisters Bitget. Die Infrastruktur für eine reibungslose Börsennotierung stehe – sobald die Regulierungsmühlen wieder mahlen würden, könnte eine ganze Welle von ETF-Starts folgen.