Gastkommentar
Die Schweizer Handelsdiplomatie ist krachend gescheitert. Doch eine engere Anbindung an Europa wird das amerikanische Debakel nicht lindern – im Gegenteil: Jetzt braucht es einen radikalen Neuanfang. Ein Beitrag von Adriano Lucatelli.
4. August 2025 • Adriano Lucatelli

Donald Trump hat gesprochen: Schweizer Güterexporte werden mit einem im westlichen Kontext exorbitanten Zoll von 39 Prozent belegt. Dies – vorerst – mit den substanziellen Ausnahmen Pharma und Gold.

Der berechtigte Jammer über diesen diplomatischen Affront kontrastiert grell mit der Feierstimmung, die unsere diplomatischen Kreise Ende April und Anfang Mai verbreiteten. Die Verhandlungen mit der Schweiz waren von der US-Seite auf den Fast Track gehoben worden; innert Wochen lag ein unterschriftsreifes Memorandum of Understanding (MoU) vor – mit einem Zollsatz von zehn Prozent. «Irgendwie habe ich den Zugang zu Trump gefunden», flötete Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (FDP) voreilig im Blick.

Diesen MoU-Entwurf hat Trump nun in dem berüchtigten Telefonat mit derselben Bundespräsidentin in der Luft zerrissen. Für helvetische Verhältnisse ist es ein diplomatisches Fiasko im Weltmassstab: Vom Wall Street Journal über Bloomberg bis zur Financial Times wundert sich die ganze Wirtschaftswelt, wie es dazu kommen konnte.

Natürlich ist Trumps Einschreiten willkürlich und ausserhalb diplomatischer Gepflogenheiten. Aber wen kann das ernsthaft erstaunen? Mit abgesägten Hosen steht unsere Handelsdiplomatie da.

Ihre Versäumnisse wiegen schwer:

1. Unser diplomatisches Corps hat es sich bequem eingerichtet in multilateralen Strukturen wie UNO und WTO, wo niemand dem Anderen wehtut und der kleinste gemeinsame Nenner obsiegt. Wir geben uns der Illusion hin, dass wir als Musterschüler auf der ganzen Welt beliebt sind. Für einen Ernstfall sind wir offensichtlich nicht (mehr) gerüstet.

2. In unserer Diplomatie haben sich die Prioritäten weit verschoben: Die Handelsdiplomatie, einst die Paradedisziplin der Schweiz, wich neuen «nice to have»-Schwerpunkten wie Entwicklungszusammenarbeit und kulturellem Austausch. Es fehlen Charaktere vom Format eines Franz Blankart und Paul Jolles, die gemeinsam das Freihandelsabkommen mit der EG von 1972 verhandelt haben – ein tragender Pfeiler des Schweizer Wirtschaftswachstums. Auch Thomas Borer lässt sich noch in dieser Tradition verorten, der den Streit um die nachrichtenlosen Vermögen beigelegt hat.

3. Offensichtlich war das auf Schweizer Wunsch eiligst einberufene Telefonat zwischen der in der Sommerfrische weilenden Bundespräsidentin Keller-Sutter und Präsident Trump maximal schlecht vorbereitet. Die Schweizer Seite glaubte, mit (sachlich vielleicht sogar richtigen) Belehrungen Trumps Unterschrift unter das Memorandum erwirken zu können. Dabei konnte jedermann in den vergangenen Monaten beobachten, worauf es dem US-Präsidenten ankommt: geldwerte Gesten der Unterwerfung, die das Handelsdefizit reduzieren. Ursula von der Leyen (für die EU) und Keir Starmer (für das Vereinigte Königreich) haben diesen Mechanismus begriffen und sich ihm – faute de mieux – untergeordnet. Keller-Sutter hingegen verlangte, den Mann im Weissen Haus zu sprechen, ohne etwas in der Hinterhand zu haben. Das hätte Trump vermutlich nicht einmal einem Charme-Bolzen wie Giorgia Meloni, die im Gegensatz zu Keller-Sutter «den Zugang zu Trump» offenbar tatsächlich gefunden hat, durchgehen lassen.

4. Erschwerend kommt hinzu: Gemäss Medienberichten wurde die Schweizer Bundespräsidentin von amerikanischer Seite nach rund 30 Minuten darauf hingewiesen, dass es besser wäre, das Telefonat zu beenden, um nicht noch mehr Geschirr zu zerschlagen. Ob das so genau stimmt, weiss man nicht. Klar ist aber, dass die Schweizer Seite unfähig war, die Situation richtig zu lesen und zu deuten. Sie hat die sich zuspitzende Gefahr nicht erkannt. Einem guten Verhandler wäre rasch klar geworden, dass es nun unkonventionelle Mittel und handfeste Konzessionen braucht, um die negative Dynamik des auf Abwege geratenen Telefonats aufzubrechen – notfalls auch ohne Mandat, ohne Vernehmlassungen und Konsultationen. Die Bundespräsidentin blieb starr, mental einbetoniert zwischen helvetischer Polit-Behäbigkeit und Formeln und Usanzen, die gegenüber Donald Trump nicht greifen.

5. Spielraum für geldwerte Gesten des guten Willens, die das Handelsdefizit reduzieren, wäre auch spontan vorhanden gewesen: mehr Prime Steaks aus dem Midwest statt aus Uruguay, Datteln aus Kalifornien statt aus Nahost, Orangen aus Florida statt aus Spanien, Goldexporte über Drittstaaten wie Grossbritannien routen (oder eine Goldraffinerie in den USA bauen), die Basler Pharma und die SNB vaterländisch ins Gebet nehmen… Ein blitzschnelles Umlenken entlang dieser Linien hätte das Debakel wohl verhindert, indem es Wasser auf die Mühle des US-Präsidenten und des von ihm so gern gepflegten Images des Dealmakers gewesen wäre: «Switzerland Agrees to Cut Trade Deficit by 80%». Aber Keller-Sutter ist keine Dealmakerin. Sie hat ihren (in Anlehnung an Mario Draghi) «whatever it takes»-Moment gründlich verpasst: die Entschärfung einer akuten Krise mit unkonventionellen Mitteln, auch wenn sie politisch umstritten sind.

Der Schaden ist angerichtet. Die strafende Zahl von 39 Prozent wurde auf höchster Ebene zwischen zwei Staatsoberhäuptern behandelt und in der Weltpresse breit diskutiert. Das ist keine gute Voraussetzung für allfällige Nachbesserungen oder Korrekturen.

Reflexhaft ist nun die Idee aufgetaucht, eine engere wirtschaftliche Anbindung an die EU könnte das amerikanische Debakel erträglicher machen. Das wäre ein Trugschluss.

In erster Linie müssen wir bei uns selber ansetzen: Wir sollten die oben genannten Gründe für das Debakel analysieren und die Schweizer Diplomatie ab sofort wieder so aufstellen, dass sie unseren wirtschaftlichen Interessen effizient dient.

Adriano Lucatelli ist Unternehmer und Gründer des Zürcher Wealthtech-Unternehmens Descartes.