AT1-Abschreiber
Anwalt Philipp Haberbeck äussert sich zum AT1-Urteil und rekonstruiert, was am verhängnisvollen 19. März 2023 zwischen Finma und Bundesrat abgelaufen sein musste – und was dazu führte, dass die UBS die Credit Suisse zu «phantastischen» Konditionen übernehmen konnte.
17. November 2025 • Beat Schmid

Vor gut einem Monat hat das Bundesverwaltungsgericht einen spektakulären Entscheid gefällt. Es kam zum Schluss, dass die im März 2023 durchgesetzte Abschreibung von AT1-Kapitalinstrumenten der Credit Suisse keine Rechtsgrundlage hatte. Es hob deshalb die damalige Verfügung der Finma auf.

Das Gericht stützte damit die Kläger, die vom Zürcher Anwalt Philipp Haberbeck vertreten wurden. Dieser hat sich nun in einem längeren Beitrag zum Urteil geäussert und scharfe Kritik an der Finma sowie der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) geübt.

Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts habe unter anderem offengelegt, dass der vor einem Jahr veröffentlichte PUK-Bericht in Bezug auf die AT1-Thematik als «fragwürdig zu qualifizieren» sei, schreibt er in einem Linkedin-Post. Dabei geht es um die inzwischen berüchtigte E-Mail der Credit Suisse vom 19. März 2023 – dem Tag, an dem die Grossbank an die UBS verkauft wurde.

Der Teilentscheid des Bundesverwaltungsgerichts zitiert diese E-Mail, die im PUK-Bericht nicht erwähnt wird: «Mit E-Mail vom 19. März 2023, 16:24 Uhr, gelangte die CSG AG mit der dringenden Bitte an die Finma, von der beabsichtigten Auslösung der Abschreibung der AT1-Kapitalinstrumente abzusehen, da aus Sicht der CSG AG ein vertraglicher 'Viability Event' nicht eingetreten sei[.]»

Übereinstimmendes Verständnis

Die Bedeutung dieser E-Mail sei «sehr gross», weil sie belege, dass die Emittentin der AT1-Instrumente (die CSG) und die AT1-Inhaber «bezüglich der Auslegung der einschlägigen Abschreibungsklausel ein gemeinsames übereinstimmendes Verständnis hatten».

Auch das Bundesverwaltungsgericht spricht in seinen Erwägungen von einem übereinstimmenden Verständnis: «Aus dieser E-Mail geht hervor, dass die CSG AG die Vertragsbestimmungen so verstand, dass die in Frage stehende Staatshilfe bestimmt und erforderlich sein muss, um eine ungenügende Eigenkapitalausstattung zu verbessern. Dieses Verständnis entspricht demjenigen der Beschwerdeführenden. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass dieses übereinstimmende Verständnis der CSG AG und der Beschwerdeführenden nicht den tatsächlichen übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses wiedergeben würde.»

Wie konnte die PUK brisantes E-Mail übersehen?

Haberbeck weist darauf hin, dass der PUK-Bericht keinen Hinweis auf diese E-Mail enthalte. Zur Abschreibung der AT1-Instrumente heisst es im PUK-Bericht lediglich: «Nachdem die Finma die CS am Nachmittag des 19. März 2023 aufgefordert hatte, die AT1-Instrumente abzuschreiben, wies sie die CS um 22.01 Uhr formell mittels Verfügung an, die Abschreibung vorzunehmen. […] Die vertraglichen Bedingungen von AT1-Anleihen sehen vor, dass sie bei einer Rettung einer Bank mithilfe von staatlichen Geldern von dieser abgeschrieben werden.»

Laut Anwalt Haberbeck ist es «praktisch ausgeschlossen», dass die PUK die betreffende E-Mail übersehen hat. «Es handelt sich ja nicht um irgendein Datum, sondern um den zentralen 19. März 2023, und es handelt sich auch nicht um irgendwelche Absender/Empfänger, sondern die damals zentralen Akteure Finma und Credit Suisse Group (CSG)», schreibt er.

Vor Bekanntwerden der E-Mail habe er sich gefragt, was den Bundesrat dazu bewogen habe, die Notverordnung vom 16. März 2023 am 19. März 2023 um den «heute umstrittenen» Art. 5a zu ergänzen – und zwar per 20:00 Uhr. Eine solch kurzfristige Ergänzung habe er bei anderen Erlassen noch nie gesehen.

Heute sei das klar, so der Anwalt. «Die Finma dürfte den Bundesrat am 19. März 2023 darüber informiert haben, dass die CSG ausdrücklich bestreitet, dass die Abschreibungsvoraussetzungen in den AT1-Anleihensbedingungen erfüllt sind. Da haben sich Finma und Bundesrat wohl dazu entschlossen, der Sicherheit halber noch rasch ein notrechtliches ‘Sicherheitsnetz’ unter ihr AT1-Abschreibungsvorhaben zu ziehen.» Laut Haberbeck sei es ausgeschlossen, dass diese Zusammenhänge der PUK entgangen seien.

Rechtsstaatlich problematisch

Haberbeck zieht die Konklusion: «Ganz stark komprimiert ist meines Erachtens am 19. März 2023 Folgendes passiert: Die Abschreibungsbedingungen in den Prospekten waren nicht erfüllt, was ja eigentlich auf der Hand liegt. Spätestens mit der E-Mail der Credit Suisse an die Finma dürfte dies auch der Finma und dem Bundesrat gedämmert haben.»

Vereinfacht gesagt, sei die Abschreibung gemäss Prospekt nur möglich, wenn das Überleben der Credit Suisse durch eine «staatliche Kapitalinjektion» gesichert werde – «aber sicher nicht, um der UBS beziehungsweise ihren Aktionären und ihrem Management einen Jahrhundertdeal zu ermöglichen», bei gleichzeitigem «Einstampfen» der Credit Suisse. Vor diesem Hintergrund habe der Bundesrat am 19. März 2023 rasch den Art. 5a «per 20:00 Uhr» in die Notverordnung eingefügt, der jedoch nicht rechtmässig sei, unter anderem wegen fehlender Verhältnismässigkeit.

«Es war einfach nicht verhältnismässig, tausende von AT1-Anlegern insgesamt in Milliardenhöhe entschädigungslos zu enteignen, nur um der UBS die Übernahme der Credit Suisse zu phantastischen (und nicht nur sehr guten) Konditionen zu ermöglichen», schreibt Haberbeck, der als Anwalt AT1-Opfer vertritt.

Aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch sei seines Erachtens unter anderem auch, dass die Finma die einschlägige Abschreibungsverfügung «zuerst gar nicht herausrücken wollte», was im Teilentscheid erwähnt wird, und dass die PUK in ihrem Bericht den hochrelevanten E-Mail-Austausch zwischen der Finma und der CSG «unterdrückt haben dürfte».

Erfreulicherweise habe das Bundesverwaltungsgericht die Unabhängigkeit der Schweizer Justiz hochgehalten – was besonders wichtig sei, wenn man sich im «betreffenden Zusammenhang nicht auf die Exekutive und Legislative verlassen kann».

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