Structured Loans
Hohe Kreditrückstellungen – wahrscheinlich in Zusammenhang mit René Benko – offenbaren Schwächen der Zürcher Privatbank. Hat Julius Bär genügend Know-how, um komplexe strukturierte Kredite zu managen?
21. November 2023 • Beat Schmid

Die Märkte reagierten am Montag äusserst säuerlich auf die Gewinnwarnung der Bank Bär. Bis zum Handelsschluss fielen die Titel um 12 Prozent – der höchste Tagesverlust seit Covid-19 Anfang 2020. Was war passiert?

Die Bank hat Rückstellungen auf ihrem Kreditbuch in Höhe von 83 Millionen Franken bekannt gegeben. Allein 70 Millionen betreffen den Zeitraum zwischen dem 31. Oktober und dem 19. November. Es ist davon auszugehen, dass die jüngsten Wertberichtigungen im Zusammenhang mit einem einzigen Kunden stehen. Der Kredit wurde privat mit dem Kreditnehmer abgeschlossen. Es handelt sich um einen Top-Kunden aus dem UHNWI-Segment (Ultra-High-Net-Worth Individual).

Wenn Julius Bär ihren Kundinnen und Kunden Kredite gewährt, dann in der Regel auf deren Depots. Per Mitte Jahr hatte die Bank Kredite in der Höhe von 42,7 Milliarden Franken ausstehend. Davon sind 34,6 Milliarden Lombardkredite und 8,1 Milliarden klassische Hypotheken. Darunter befinden sich aber auch sogenannte strukturierte Kredite, die sie mit Privatkunden abschliesst. Diese machen zwischen 3 und 4 Prozent des Kreditportefeuilles oder rund 1,2 bis 1,7 Milliarden Franken aus.

Viel komplexer als eine Hypothek

Bei strukturierten Krediten oder structured loans handelt es sich um Vereinbarungen, die wesentlich komplexer sind als ein Kredit auf einer privaten Villa oder einem Aktienportfolio. Von strukturierten Finanzierungen spricht man, wenn ein Kunde beispielsweise illiquide Aktien belehnt, die durch zukünftige Cashflows oder Dividendenzahlungen besichert sind – oder auch nicht.

Es handelt sich um ein Spezialgeschäft, das für eine Privatbank untypisch ist. Bei der Bank Bär ist die Structured-Loans-Abteilung nicht im Privatkundengeschäft angesiedelt, sondern im Bereich von Finanzchefin Evangelia Kostakis. Um die Spezialkredite kümmert sich Thomas Kammermann, Chief Credit Officer von Julius Bär und ehemaliger CS-Mann, der 2017 zur Privatbank wechselte.

In diesem Bereich ist es nun zum Grossunfall gekommen. Beim Kreditnehmer dürfte es sich wahrscheinlich um René Benko handeln, den österreichischen Immobilieninvestor, der mit seiner Signa-Gruppe in Schieflage geraten ist. Die Gruppe sucht händeringend nach Investoren, die bereit sind, mehrere hundert Millionen in die Gruppe zu stecken – mit bescheidenem Erfolg bisher.

Wo befindet sich das Kredit-Know-how?

Anders als eine grosse Kantonalbank oder eine Grossbank ist Julius Bär nicht im Commercial-Real-Estate-Geschäft tätig. Sie finanziert also nicht direkt Projekte von professionellen Immobilienentwicklern. Über ihre Spezialkredite ist nun doch irgendwie in dieses Geschäft hineingeraten, wie es scheint.

Wie kam es dazu? Eine Erklärung ist: Das Structured-Credit-Geschäft ist wesentlich lukrativer als klassische Lombardkredite oder Hypotheken. Der finanzielle Anreiz ist also gegeben. Aber hat die Bank auch das Know-how, um diese komplexen Kredite zu strukturieren und zu überwachen, hat sie die richtigen Leute dafür, ist sie organisatorisch richtig aufgestellt?

Hier stellen sich Fragen. In einer Grossbank würden die Kredite nicht beim CFO strukturiert, sondern im Business. Die Risikoabteilung muss die Kredite genehmigen. Im Fall des mutmasslichen Benko-Kredits wurde das Geschäft dem Verwaltungsrat zur Genehmigung vorgelegt, da es sich um Klumpenrisiko handelt.

Wenn man die Lebensläufe der Mitglieder der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates liest, stellt man fest, dass ein vertieftes Kredit-Know-how kaum vorhanden ist. Weder bei der Finanzchefin, noch beim Chief Risk Officer Oliver Bartholet, der Jurist ist, noch beim CEO Philipp Rickenbacher. Auch Verwaltungsratspräsident Romeo Lacher ist kein Kreditspezialist; er kommt von der operativen Seite. Der Vorsteher des Governance und Risk Committee hat einen Hintergrund als Buchhalter.

Die grosse Frage ist, ob auf der vermuteten Benko-Position noch weitere Rückstellungen gebildet werden müssen. Wenn die kolportierten 700 Millionen Franken stimmen, die Julius Bär beim Immobilien-Tycoon ausstehend hat, hat die Bank mit den 70 Millionen Franken 10 Prozent des vermuteten Gesamtexposures zurückgestellt. Ob das reicht, ist fraglich.

Muss man Bär neu denken?

Der Einbruch des Aktienkurses am Montag zeigt, dass die Anleger in höchstem Mass verunsichert sind. Natürlich kann Julius Bär auch noch deutlich grössere Verluste verkraften, wie sie gestern bekräftigte. Dafür verfügt sie über genügend dicke Finanzpolster. Aber Rückstellungen in der Höhe von fast 10 Prozent des letztjährigen Gewinns nimmt niemand auf die leichte Schulter.

Der Grossschaden verändert auch das Image von Julius Bär im Markt. Eigentlich sind Kreditrisiken von Privatbanken vernachlässigbar. Das liegt in der Natur des Geschäfts. Entsprechend hoch sind sie an der Börse bewertet. Julius Bär hatte vor dem Kurssturz ein Price-to-Book-Verhältnis von 1,6. Jetzt liegt es bei 1,5. Andere Banken haben deutlich tiefere Werte, weil sie risikoreicher sind. Bei Vontobel liegt das Kurs-Buchwert-Verhältnis bei 1,1, bei UBS bei 0,8.

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