Politik
Mit Notmassnahmen in Milliardenhöhe will der Bund die Stromversorgung im Winter "sichern". Doch bei einem Blackout in Deutschland ist diese Sicherung nichts wert.
21. Oktober 2022 • Beat Schmid

Reserve-Gaskraftwerke sollen neben den verschiedenen bereits ergriffenen Massnahmen helfen, die Stromversorgung in den nächsten Wintern sicherzustellen. Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat diese Woche Eckpunkte für den Betrieb von Notkraftwerken vorgestellt. Auf die Steuerzahler kommen Mehrkosten von mehreren Milliarden Franken zu.

Doch das alles wird nicht viel nützen, wenn in Europa die Lichter ausgehen, es beziehungsweise zu einem grossflächigen Blackout kommen sollte. “Wenn das Netz in Deutschland abrauscht, geht auch das Schweizer Netz in die Knie”, sagt ein Vertreter eines Grossverbrauchers zu Tippinpoint. Ein solches Szenario mag zwar sehr unrealistisch sein, zumal in diesem Winter. Die Gasspeicher in Deutschland sind gut gefüllt. Zudem werden die AKWs bis März am Netz bleiben.

Doch im Winter 2023/24 sieht es im nördlichen Nachbarland vielleicht ganz anders aus. Ob dann die Gasspeicher auch gefüllt sein werden, wenn kein russisches Gas mehr fliesst? Was heisst es für die Netzstabilität, wenn die letzten AKWs im März 2023 abgeschaltet werden, die immer noch etwa 10 Prozent zum Strommix beitragen?

Deutschland übt für einen Blackout, der 72 Stunden dauert

In Deutschland wälzen grosse Metropolregionen wie Köln deshalb bereits Pläne, wie man das Leben oder besser: Überleben bei einem Blackout von 72 Stunden organisieren würde. Das kann man selbstverständlich als Panikmache abtun, doch Krisenstäbe müssen sich nun mal vorbereiten auf den Worst Case.

Die schlechte Nachricht für die Schweiz ist: Kommt es in Deutschland zum Worst Case, dann nützen auch die teuren Notlösungen nichts, die Energieministerin Sommaruga auf den Weg bringen will. Das Schweizer Stromnetz ist nicht autark. Es ist eng verbunden mit dem Stromnetz in Europa und besitzt 41 Übergänge ins Ausland. Den Ursprung hat die internationale Vernetzung mit dem Bau des Sterns von Laufenburg im Jahr 1958. Vorher war die Schweiz autark.

Vertreter der Strombranche äussern sich nur ungern über die möglichen negativen Folgen dieser internationalen Vernetzung. Man will ja keine Panik schüren. Ein Sprecher der Schweizer Netzgesellschaft Swissgrid sagt immerhin, dass eine “technische Abkopplung nicht möglich” sei. “Kommt es zu einer Grossstörung, ist das gesamte europäische Netz davon betroffen; auch die Schweiz.”

Christian Imark von der SVP hat beim Bund bereits vor Jahren einen Vorstoss eingereicht, der darauf abzielt, dass die Schweiz Vorbereitungen trifft, das Stromnetz abzukoppeln. “Das war noch vor der Krise”, sagt er. “Jetzt gehört diese Frage wieder auf den Tisch.” Aber ihm ist auch klar, dass dies nicht von heute auf morgen möglich ist.

Um die Netze zu trennen, braucht es neue Phasenschieber

Um die Stromnetze zu unterbrechen, braucht es sogenannte Phasenschieber. Zum Teil sind solche bei Grenzleitungen installiert, doch nicht überall. Diese müssten beschafft und installiert werden. Paul Niggli, Ingenieur und ehemaliger Leiter der Bereiche Risiko- und Krisenmanagement bei Swissgrid, warnt heute in der NZZ vor den Folgen der Vernetzung.

Auch er ist überzeugt, dass bei einem Blackout in Europa in der Schweiz die Lichter ausgehen. Deshalb hält Niggli auch die Pläne des Bundesrates für eine Strommangellage für untauglich. Die Wirkung der Notfallmassnahmen würden verpuffen, da die Notreserven in den Schweizer Stauseen in einer europaweiten Mangellage wie bei einer Badewanne durchs Loch abfliessen würden.

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