Milliarden-Rettungsschirm
Mit vier Milliarden Franken Steuergeldern muss der Stromkonzern Axpo gestützt werden. Das müsste nicht sein, wenn das Unternehmen mehr Mittel auf dem Kapitalmarkt beschafft hätte. Wegen dieses Versäumnisses ist ein Bonusverzicht der Chefs gerechtfertigt.
7. September 2022 • Beat Schmid
Die Ankündigung ist ein Paukenschlag: Der Bund muss dem Energiekonzern Axpo mit vier Milliarden Franken unter die Arme greifen. Der im Frühling angedachte 10-Milliarden-Franken-Rettungsschirm wird damit zu ersten Mal aufgespannt.
Umgehend hat die Axpo bekannt gegeben, dass sie diese Kreditlinie bislang nicht in Anspruch genommen habe. Das Unternehmen bereite sich mit dem Schritt auf noch schwierigere Zeiten vor, um bei einer weiteren Verschärfung “seinen Beitrag für die Versorgungssicherheit der Schweiz leisten” zu können.
Axpo-CEO Christoph Brand bezeichnete am Dienstag die Situation im Markt als “paradox”. Die langfristigen Aussichten seien nach wie vor positiv, “kurzfristig” sind wir aber mit den Herausforderungen “dieser historischen Energiekrise” konfrontiert. Darum habe das Unternehmen den “verantwortungsvollen” Entscheid gefällt, beim Bund diese zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit zu beantragen.”
Was Brand als einen verantwortungsvollen Entscheid bezeichnet, war in der Tat eine Feuerwehrübung. Der Energiekonzern verfügt zwar gemäss eigenen Angaben über liquide Mittel im Umfang von zwei Milliarden Franken, doch das dürfte nicht reichen, bei den weiterhin steigenden Strompreisen die benötigen Mittel für Absicherungsgeschäfte aufbringen zu können.
Explodierende Margen sind das Problem
Die Mechanik des europäischen Stromhandels will es so, dass Verkäufer von Strom bei der Börse hohe sogenannte Initial-Margins hinterlegen müssen, wenn sie eine bestimmte Stromleistung für ein Jahr verkaufen wollen. Steigt der Preis, steigen auch die Initial-Margins. Selbst für ausgehandelte Deals müssen die Stromfirmen diese Margen nachschiessen, wenn der Preis steigt. Die Firmen erhalten dann einen Margincall – genauso wie Spekulanten, die mit Krediten im Aktienhandel aktiv sind.
Die Börse will damit Sicherheit für den Käufer bieten. Kann ein Verkäufer die versprochene Stromleistung für die vereinbarte Zeitspanne nicht liefern, weil etwa ein Kraftwerk ausfällt, muss er Ersatz auf dem freien Markt einkaufen. Damit der Käufer die Sicherheit hat, dass der Verkäufer die Mittel dazu auch tatsächlich besitzt, müssen diese als Sicherheitsmarge bei der Stromhandelsbörse hinterlegt werden.
Das alles kennen die Strommanager aus dem Effeff. Auch wissen sie, dass die Preise am Strommarkt seit September 2021 verrückt spielen. Es ist also den Verantwortlichen in den grossen Schweizer Energieunternehmen seit langer Zeit klar, dass sie immer mehr liquide Mittel an der Börse hinterlegen müssen, um im Geschäft zu bleiben. Doch was hat die Axpo gemacht?
Axpo hat nur zwei Anleihen begeben
CEO Christoph Brand sagte gestern in einem Interview mit dem “Tages-Anzeiger”, dass sein Unternehmen "in den letzten Monaten verschiedene Anleihen" herausgab, um zusätzliches Kapital zu beschaffen. Dazu hätte die Axpo Kreditlinien von Banken bekommen und Geld aus dem internationalen Geschäft eingesetzt, sagte er. Brand will den Eindruck vermitteln, alles nur mögliche getan zu haben, um einen Engpass zu vermeiden.
Im Detail schaut das anders aus. Tatsächlich begab die Axpo Holding AG am 2. Februar 2022 zwei Anleihen für 200 und 300 Millionen Franken. Insgesamt also eine halbe Milliarde Franken. Total hat die Axpo fünf Bonds ausstehen im Umfang von 1,233 Milliarden Franken.
Retrospektiv sind die 500 Millionen Franken viel zu wenig gewesen. Aus welchen Gründen auch immer, dachten die Axpo-Chefs damals, dass dieses Polster reichen würde, um unbeschadet durch die Turbulenzen zu kommen. Eine Fehleinschätzung, wie sich heute herausstellt. Eine sehr teure ausserdem: Die beiden Februar-Bonds zahlen einen Coupon von 0,25 und 0,625 Prozent, was sehr wenig ist. Für die Kreditlinie des Bundes muss der Konzern einen Zins von bis zu 11 Prozent abdrücken.
Um sich den Gang zum Bund zu ersparen, wäre es auch möglich gewesen, bei den Eignerkantonen zusätzliche Mittel zu holen. Auch das wurde unterlassen. Brand sagt, dass sich die Kantone ausserstande sahen, in so kurzer Zeit so grosse Beträge zu organisieren, zumal auch keine Rechtsgrundlage bestehe.
In Bezug auf eine kurzfristige Kapitalspritze mag das stimmen, aber als Aktionäre wären die Kantone in der Pflicht, dem Unternehmen über eine Kapitalerhöhung die benötigten Mittel zukommen zu lassen, um einen Konkurs abzuwenden.
Verständliche Forderung nach einem Bonus-Verzicht
Es ist also nicht so, als ob die Energiekrise die Stromkonzerne wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen würde. Es wäre möglich gewesen, rechtzeitig für härtere Zeiten vorzusorgen.
Daher sind die Forderungen nach einem Bonus-Verbot für die Geschäftsleitung der Axpo verständlich. Laut Axpo-Geschäftsbericht 20/21 erhielt Christoph Brand einen Fixlohn von 629'000 Franken und zusätzlich einen Bonus von 585'000 Franken.
Insgesamt belief sich der Anteil des variablen Lohns für die sechsköpfige Geschäftsleitung auf 2,53 Millionen Franken. Pro normalem Konzernleitungsmitglied sind das also durchschnittlich rund 390'000 Franken zusätzlich zum Fixlohn.
Eine Honorarkürzung für die Verwaltungsratsmitglieder wäre ebenfalls zu prüfen. Das neunköpfige Gremium bezog im letzten Geschäftsjahr 1,2 Millionen Franken. Am meisten erhielt der Präsident und frühere Telecom-Manager Thomas Sieber. Er verdiente 378’000 Franken.