War of Climat Talent
Die grossen Beratungsfirmen suchen händeringend nach Fachpersonal im Sustainabilitybereich. Der Chef von Boston Consulting würde auch Klimaaktivisten einstellen.
18. Februar 2022 • Beat Schmid

Dekarbonisierung wird zum dominierenden Thema in den nächsten Jahren. Obwohl in der Schweiz das CO₂-Gesetz an der Urne versenkt wurde, müssen viele grössere Unternehmen ab 2023 Rechenschaft über ihren CO₂-Fussabdruck ablegen und aufzeigen, wie sie ihre Klimaemissionen in den nächsten Jahren reduzieren wollen. Das verlangt der indirekte Gegenvorschlag zur abgelehnten Vorlage.

Die verpflichtende Klimaberichterstattung bedeutet mehr Arbeit für Unternehmensberater und Buchprüfungsunternehmen. Neben der eigentlichen Kernaufgabe, etwa der Prüfung von Finanzzahlen, kommt auf sie ein völlig neues Betätigungsfeld hinzu.

EYCarbon schafft 150 neue Jobs

Das schafft zusätzliche Jobs – Hunderte, vielleicht Tausende. Allein in der Schweiz. EY, eine der vier grossen Beratungsfirmen der Welt, eine sogenannte Big 4, hat diese Woche angekündigt, in Grossbritannien 1300 neue Arbeitsstellen im Sustainability-Bereich zu schaffen. EY hat für den Klimabereich eigens eine Einheit mit dem Namen EYCarbon gegründet.

Auch in der Schweiz gibt es EYCarbon bereits. Und auch hierzulande sucht die Beratungsfirma händeringend nach Fachpersonal. Benjamin Teufel, Head of Sustainability und Leader EYCarbon in der Schweiz, sagt gegenüber Tippinpoint: «Für unsere Nachhaltigkeitsberatung plant EY in der Schweiz in den nächsten 3 bis 4 Jahren mehr als 150 neue Vollzeitstellen zu schaffen.» Das Unternehmen beschäftigt in der Schweiz knapp 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weltweit sind 300’000.

«In der Schweiz arbeiten wir daran, 300 Vollzeitstellen für den Bereich Nachhaltigkeit zu schaffen»

Noch mehr neue Stellen will PWC aufbauen, auch sie eine Big 4. «In der Schweiz arbeiten wir daran, 300 Vollzeitstellen für den Bereich Nachhaltigkeit zu schaffen», sagt eine Sprecherin auf Anfrage. Das Unternehmen zählt hierzulande 3400 Beschäftige, weltweit sind es rund 300’000.

Die anderen zwei grossen der Big-4-Beratungsunternehmen nannten keine konkreten Zahlen. Ein Sprecher von Deloitte verwies auf frühere Aussagen, wonach das Unternehmen eine Ausbildungsoffensive im Nachhaltigkeitsbereich gestartet habe. Deloitte hat weltweit einen Plan ausgearbeitet, wie die Mitarbeitenden im Bereich Audit und Assurance zu ESG-Prüferinnen und -Prüfern werden. Das Unternehmen beschäftigt weltweit 345’000 Fachkräfte, davon 2200 in der Schweiz.

Mit der grossen Kelle rührt auch KPMG an, die vierte der Big 4. Eine Sprecherin sagt, dass das Unternehmen in den nächsten drei Jahren 1,5 Milliarden Dollar in das Thema ESG investieren wolle. Die Investitionen sollen hauptsächlich in die Rekrutierung von ESG-Experten fliessen sowie in ESG-Trainings für alle Mitarbeitenden und in die Entwicklung neuer Technologien, Partnerschaften und Allianzen. KPMG zählt 236’000 Personen auf der Gehaltsliste, rund 2200 sind es in der Schweiz.

Angesichts des ausgetrockneten Stellenmarktes ergibt es Sinn, nicht nur neues Personal suchen zu wollen, sondern auch die eigenen Leute zu schulen. Es ja nicht so, dass Nachhaltigkeits-Expertinnen und -Experten ein genuin neues Wissen besitzen würden. Gewisses Basisknowhow bleibt auch in der neuen, auf Dekarbonisierung umgepolten Welt die gleichen wie in der alten.

«Sie müssen ihren Kopf und ihre Herzen gewinnen»

Die Ausbildung eigener Leute macht umso mehr Sinn, als auch die klassischen Unternehmensberater wie McKinsey oder Boston Consulting Group (BCG) das Thema entdeckt haben. Christoph Schweizer, der neue, weltweite Chef von Boston Consulting, sagte kürzlich, dass er durchaus auch Klimaaktivisten einstellen wolle, die Unternehmen auf ihrem Weg Richtung Netto-Null begleiten sollen.

Boston Consulting suche vermehrt nicht mehr nur die klassisch ausgebildeten Unternehmensberater, sondern vermehrt auch Datenspezialisten sowie Klima- und Nachhaltigkeits-Expertinnen. «Sie können Spitzenleute nicht einfach mit Geld kaufen», sagte Schweizer, der übrigens Deutscher ist, in der FT. «Sie müssen ihren Kopf und ihre Herzen gewinnen», sagte er. Das BGC habe seine eigenen Regeln verschärft und letztes Jahr Aufträge von grossen CO₂-Emittenten im Umfang von mehreren Hundert Millionen Dollar abgelehnt.

MEHR ZUM THEMA


Ein Tornado fegt über Schweizer Firmen

Spätestens nächstes Jahr müssen Unternehmen ihren CO2-Ausstoss messen können. Jetzt zeigt eine Umfrage: Sie sind darauf überhaupt nicht vorbereitet.
3. August 2022

Schweizer sehen Sustainability als Reputationsbooster

Die obersten Führungskräfte von Schweizer Unternehmen sind sich einig, dass der Klimawandel real ist und spürbar negative Auswirkungen auf ihr Geschäft haben wird. Doch bei der Einführung von wirksamem Massnahmen sind sie zögerlicher als ihre Kolleginnen und Kollegen im Ausland, wie eine Studie von Deloitte ergab.
24. Januar 2022