Eingefrorene Russengelder
Die finanzielle Hilfe der Schweiz für die Ukraine beschränkt sich bisher vor allem auf verbale Zusagen. International figuriert das Land unter ferner liefen. Daran dürfte sich in nächster Zeit nicht viel ändern.
15. Dezember 2025 • Balz Bruppacher

Während sich die EU hektisch um die Bereitstellung eines Multi-Milliarden-Kredits für die Ukraine bemüht, sind die Aussichten, dass die Schweiz zusätzliche Mittel auf Grundlage der eingefrorenen Russengelder bereitstellt, gleich null. Hierzulande sind zurzeit knapp 15 Milliarden Franken russische Vermögenswerte eingefroren, je zur Hälfte Gelder von sanktionierten Privatpersonen und Unternehmen (7,4 Milliarden) sowie Vermögenswerte der russischen Zentralbank (7,45 Milliarden). Damit gehört die Schweiz neben der Europäischen Union zu den fünf Ländern mit den meisten blockierten Russengeldern, noch vor den USA.

Seit Jahren wird diskutiert, ob gesperrte Russengelder für den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden können. Die Schweiz hat unter Hinweis auf die Eigentumsgarantie stets abgewunken und im Fall der Zentralbankgelder erklärt, die internationalen Diskussionen eng zu verfolgen. Nun stellt sich die Frage erneut, und zwar in doppelter Hinsicht. Könnte die Schweiz mit einem ähnlichen Mechanismus wie die EU – ein Kredit gestützt auf die eingefrorenen Russengelder – der Ukraine Hilfe leisten? Und was passiert mit den gesperrten Geldern, wenn die Sanktionen gegen Russland dereinst aufgehoben werden sollten?

Das für die Umsetzung der Sanktionen zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erinnert auf Anfrage daran, dass das Embargogesetz keine Rechtsgrundlage für den Erlass von eigenständigen Sanktionen durch die Schweiz biete. Sollte die EU ihre Sanktionen gegen Russland also aufheben, würde grundsätzlich die schweizerische Rechtsgrundlage wegfallen, auf der die Zwangsmassnahmen beruhen. Die Vermögenssperren würden mit anderen Worten aufgehoben.

Potentatengeldergesetz nicht anwendbar

Im Fall Syriens stellten sich nach dem Sturz des Assad-Regimes ähnliche Fragen. Wie kann bei einer Aufhebung der Sanktionen verhindert werden, dass Personen des früheren Herrscher-Clans Zugriff auf ihre gesperrten Gelder erhalten? Der Bundesrat erliess am vergangenen 7. März eine zusätzliche Sperre der fraglichen Vermögenswerte (es geht um rund 99 Millionen Franken). Und zwar gestützt auf das Potentatengeldergesetz (SRVG). Ein analoges Vorgehen ist im Fall der Ukraine hingegen nicht möglich, wie das Seco in Absprache mit dem Aussendepartement EDA mitteilt. Denn die syrischen Gelder wurden gestützt auf Artikel 3 des SRVG gesperrt. Voraussetzung für eine Sperre ist unter anderem der Machtverlust politisch exponierter Personen im Herkunftsland. «Dies ist derzeit in Russland nicht der Fall», hält das Seco fest.

Nach weiteren Möglichkeiten zur Verwendung der eingefrorenen Russengeldern für den Wiederaufbau der Ukraine befragt, betonen die Bundesbehörden, es sei wichtig zwischen den staatlichen Vermögenswerten der russischen Zentralbank und den privaten Vermögenswerten von russischen Personen und Unternehmen zu unterscheiden. In der Schweiz wie auch in der EU gebe es derzeit keine Rechtsgrundlage für die Einziehung dieser Gelder. Im Fall der Privatvermögen rechtmässiger Herkunft kam der Bundesrat schon im Februar 2023 zum Schluss, dass eine entschädigungslose Enteignung gegen die Bundesverfassung und die geltende Rechtsordnung verstossen würde und damit nicht zulässig sei.

Mit Blick auf die russischen Zentralbankgelder erklären Seco und EDA, aus Sicht der Schweiz sei es von entscheidender Bedeutung, «dass jeder international vereinbarte Ansatz den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und des Völkerrechts in vollem Umfang entspricht und die Finanzstabilität bewahrt, um unbeabsichtigte Folgen für die Finanzmärkte und zukünftige Zentralbankoperationen im internationalen Finanzsystem zu vermeiden.» Der Hinweis auf die Finanzstabilität ist in dieser Form neu. Russland hat wiederholt erklärt, gegen die Konfiskation ihrer Zentralbankguthaben juristisch vorzugehen.

Der Bund verweist schliesslich darauf, dass die Schweiz die Ukraine seit 2022 mit drei Milliarden Franken unterstütze und diese Unterstützung bis 2036 um fünf Milliarden Franken erhöhen wolle. Und zwar in einem ersten Schritt aus dem Budget der Internationalen Zusammenarbeit. Allerdings ist der Umfang der finanziellen Hilfe für die Ukraine kein Ruhmesblatt für die Schweiz. Nach einer Erhebung des «Kiel Institute» figuriert die Schweiz in dieser Hinsicht weltweit bloss auf Platz 26.

130 Millionen seit 2014 gesperrt

Bleibt eine Möglichkeit, wie die Ukraine Geld aus der Schweiz erhalten könnte, ohne dass Entwicklungsmittel für andere Länder gekürzt werden. Es geht um über 130 Millionen Franken, die der Bundesrat nach der Maidan-Revolution von 2014 aus der Entourage des geflüchteten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch per Notrecht beschlagnahmt hatte. Weder Strafverfahren in der Ukraine, noch Ermittlungen der hiesigen Bundesanwaltschaft oder der bilaterale Rechtshilfeverkehr führten aber zu rechtskräftigen Urteilen. Die Korruptions- und Geldwäschereivorwürfe gegen die Eigentümer der Gelder sind mittlerweile zum Teil verjährt. Das 2016 in Kraft getretene Potentatengeldergesetz – im Fall des Arabischen Frühlings verfehlte es seinen Zweck – soll nun den Weg zur Rückerstattung an die Ukraine ebnen. Betroffen sind Vermögenswerte des ehemaligen ukrainischen Parlamentariers Jurij Iwanjuschtschenko, des Sohns des früheren ukrainischen Ministerpräsidenten Mykola Asarow sowie des ehemaligen Politikers Aleksandr Yefremow.

Der Bundesrat erreichte im vergangenen Mai einen Etappenerfolg im komplizierten Verfahren. Das Bundesgericht bestätigte, dass die Voraussetzungen für die Kontensperren erfüllt sind und wies Beschwerden der Kontoinhaber ab. In einem nächsten Schritt muss das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) nun beim Bundesverwaltungsgericht Einziehungsklagen deponieren. Dabei geht es um den Nachweis, dass die gesperrten Vermögen unrechtmässig erworben wurden. Das Gesetz geht von der Vermutung der Unrechtmässigkeit aus und nennt zwei Voraussetzungen. Erstens muss das Vermögen der betroffenen Person, begünstigt durch die Ausübung des öffentlichen Amts, ausserordentlich stark gestiegen sein. Und zweitens muss der Korruptionsgrad des Herkunftsstaats notorisch hoch gewesen sein. Das EFD will die erste Klage noch in diesem Jahr beim Bundesverwaltungsgericht deponieren. Darauf drängte auch das Bundesgericht in seinen Entscheiden vom letzten Mai. Nicht weil die Ukraine das Geld dringend nötig hat. Sondern weil den Kontoinhabern, die seit über 10 Jahren nicht mehr über ihre Gelder verfügen können, endlich Gelegenheit gegeben werden müsse, sich zur Rechtmässigkeit des Erwerbs der gesperrten Vermögenswerte zu äussern.

EU-Sanktionen gegen einen Schweizer geplant

Die EU-Botschafter planen laut Medienberichten ein weiteres Paket von Sanktionen gegen Russland, das auch pro-russische Propagandisten ins Visier nimmt. Dabei soll der Schweizer Jacques Baud, Oberst a.D. und ehemaliger Mitarbeiter des strategischen Nachrichtendienstes, gelistet werden. Der 60-jährige Baud kam seit dem russischen Angriff auf die Ukraine verschiedentlich in hiesigen Medien als Experte zu Wort. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat nach eigenen Angaben Kenntnis von den Medienberichten über die mutmasslichen Absichten der EU, einen Schweizer zu sanktionieren, will dies aber nicht weiter kommentieren.

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