Während auf internationaler Ebene die Diskussion über die Einziehung der Vermögen von sanktionierten Russen angelaufen ist, will der Bundesrat die Ukraine mit jenen Geldern unterstützen, die 2014 nach dem Sturz von Wiktor Janukowitsch eingefroren worden waren. Der Vorstoss kommt überraschend und die Erfolgsaussichten sind ungewiss, wie der Blick auf die Rechtsgrundlage zeigt.
Handhabe soll das Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen (SRVG) bieten, wie das Aussendepartement EDA am Mittwoch mitteilte. Also jenes Gesetz, das im Gefolge des "Arabischen Frühlings" ausgearbeitet wurde und das erklärte Ziel des Bundesrats im sogenannten "Asset Recovery" erleichtern sollte: Die möglichst rasche, rechtsstaatlich korrekte Rückerstattung von kriminellen Potentatengeldern an die Herkunftsländer.
Obwohl bei der Ausarbeitung als "Lex Mubarak" und als "Lex Ben Ali" bezeichnet, blieb das Gesetz bei den 2011 gesperrten Vermögenswerten der gestürzten Diktatoren Ägyptens und Tunesiens ohne Erfolg. Einzig im Falle der seit 1986 gesperrten Gelder des Duvalier-Clans auf Haiti gelang 27 Jahre später die Einziehung von 6,5 Millionen Dollar. Wobei die Rückerstattung an Haiti nach wie vor aussteht, weil die Frage der Verwendung der Gelder noch ungelöst ist.
Die beschränkte Wirkung des Gesetzes hängt mit den Bedingungen zusammen, die für die Einziehung von Potentatengeldern erfüllt sein müssen. Nach Artikel 14 des SRVG kann der Bundesrat das Eidgenössische Finanzdepartement mit einer Klage an das Bundesveraltungsgericht zur Einziehung von Potentatengeldern beauftragen.
Für gescheiterte Staaten vorgesehen
Es muss sich um unrechtmässig erworbene Vermögenswerte einer politisch exponierten Person handeln, die der Bundesrat aufgrund eines Rechtshilfegesuchs des Herkunftsstaates vorläufig sichergestellt hatte – eine Voraussetzung, die im Fall der Gelder nach dem Sturz von Janukowitsch erfüllt sein dürfte.
Heikel wird es aber bei der folgenden Bedingung für die Einziehung: "Der Herkunftsstaat kann die Anforderungen an ein Rechtshilfeverfahren wegen des völligen oder weitgehenden Zusammenbruchs oder der mangelnden Verfügbarkeit seines Justizsystems nicht erfüllen (Versagen staatlicher Strukturen)." Das heisst, die Einziehung ist für gescheiterte Staaten (failed states) vorgesehen, wie im Falle Haitis.
Weder im Fall Ägyptens noch in jenem Tunesiens kam diese Bestimmung zur Anwendung. Weshalb soll sie nun für die Ukraine gelten? Das EDA räumt ein, dass das Gesetz nur in Ausnahmesituationen anwendbar ist. Insbesondere sei es erforderlich, dass die Justiz des ausländischen Staates versucht habe, diese Vermögenswerte einzuziehen, aber nicht in der Lage sei, dies zu tun.
Dies treffe für die ukrainischen Behörden zu, wobei sich die Schwierigkeiten seit dem Beginn des Kriegs massiv verschärft hätten. "Vor diesem Hintergrund ist der Bundesrat der Ansicht, dass die Einleitung eines Einziehungsverfahrens in der Schweiz nun möglich und angebracht sei", heisst es in der Mitteilung. Diese Frage muss nach der vom Bundesrat veranlassten Klage nun vom Bundesverwaltungsgericht geklärt werden, wobei Verfügungen von den Berechtigten an den Vermögenswerten bis ans Bundesgericht weitergezogen werden können.
Strafverfahren unter Hinweis auf ukrainische Ermittlungen eingestellt
Konkret geht es vor allem um die seit der Maidan-Revolution gesperrten Vermögenswerte, an denen der frühere ukrainische Parlamentarier und Janukowitsch-Vertraute Jurij Iwanjuschtschenko berechtigt ist. Gegen ihn ermittelte auch die Bundesanwaltschaft (BA) wegen Geldwäscherei und Beteiligung an einer kriminellen Organisation.
Nach umfangreichen Ermittlungen und einem Rechtshilfeverkehr mit der Ukraine, mit Lettland und mit Monaco stellte die BA das Verfahren am vergangenen 25. Januar aber ein. Und zwar gestützt auf die Bestimmungen der Strafprozessordnung, wonach die Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen und das Verfahren einstellen kann, wenn die Straftat bereits von einer ausländischen Behörde verfolgt wird. Die Vermögenswerte von über 100 Millionen Franken blieben gestützt auf das Rechtshilfeverfahren gesperrt. Iwanjuschtschenko wurde im Strafverfahren vom Zürcher Rechtsanwalt Lorenz Erni verteidigt.
Unabhängig vom Schicksal dieser Potentatengelder wird die Schweiz aufgrund internationaler Bemühungen und hiesiger politischer Vorstösse mit der Frage konfrontiert werden, was mit den im Zuge der Russland-Sanktionen gesperrten Oligarchen-Geldern passieren wird. Eine Einziehung und Rückerstattung zum Wiederaufbau, wie sie unter gewissen Bedingungen die EU plant, ist im Embargogesetz nicht vorgesehen.
Interessant ist allerdings, dass der Bundesrat in der Vorlage vom Sommer 2010 über eine Revision des Embargogesetzes einen Artikel über die Einziehung von Vermögenswerten und Gegenständen vorgesehen hatte. Auslöser der Vorlage, die unter anderem eine Verschärfung des Strafrahmens vorsah, waren die Amtshilfeprobleme im Oil-for-Food Skandal, bei dem sich Ölkonzerne weigerten, Bankunterlagen an die unabhängige Untersuchungskommission der UNO herauszugeben. Das Revisionsprojekt wollte die Beschwerdemöglichkeit im Amtshilfeverfahren ausschliessen. Der Bundesrat blies das Vorhaben nach Kritik der Wirtschaft und des bürgerlichen Lagers in der Vernehmlassung im Dezember 2011 aber sang- und klanglos ab.