Folgen des FTX-Crash
Die Krypto-Börse des Shooting-Stars Sam Bankman-Fried ist in Liquiditätsnot und bietet sich dem Marktführer Binance zum Kauf an. Das ist nur kurzfristig eine gute Lösung.
9. November 2022 • Werner Grundlehner

Am Dienstag erlebt der Krypto-Sektor einen “Lehman-Effekt”. Die Branche wurde auf ruppige Weise daran erinnert, dass man zwar an einem neuen Finanzsystem bauen kann, dabei aber die bestehenden Regeln nicht ungültig werden. Die global zweitgrösste Krypto-Börse FTX erlebt einen “Credit Crunch”. Ob das Unternehmen des vermeintlichen Krypto-Milliardärs Sam Bankman-Fried überlebt, steht in den Sternen.

Dem Shooting-Star, der vor kurzem als Finanzgenie in der Financial Times porträtiert wurde, ging die Liquidität aus. Hier erinnert FTX an die US-Investmentbank Lehman Brothers, deren Untergang zum Auslöser der letzten Finanzkrise wurde. Lehman hatte einen riesigen Bestand an gehypten Finanzprodukten angehäuft – vor allem verbriefte Hypothekarforderungen –, deren Qualität nicht den Angaben entsprach. Als sich Zweifel an diesen Produkten mehrten, kam der Handel damit zu einem jähen Ende, und Lehman war illiquid.

Auch FTX geht die Liquidität aus. Das Wunderkind hat die wichtigen Grössen Liquidität, Verschuldungsgrad und Kapitalbasis nicht im Einklang gehalten. Wie bei Lehman Brothers kam es zur Liquiditätskrise: Es wurden zu viele illiquide Vermögenswerte mit Fremdkapital erworben, das von den Gläubigern rasch eingefordert werden kann.

Gelder mit beiden Händen ausgegeben

Sam Bankman-Fried, der in der Szene unter seinem SBV bekannt ist, gab die verfügbaren Mittel mit beiden Händen weiter. Als der Broker Robin-Hood, der durch sogenannte “Meme-Traders” bekannt wurde, die sich über Reddit absprachen und Kurse nach oben trieben, in Schwierigkeiten geriet, sprang der frischgebackene Milliardär ein und übernahm ein Aktienpaket. Auch den angeschlagenen Krypto-Dienstleistern Celsius, Voyager Digital oder BlockFi eilte SBV zu Hilfe. Jetzt benötigt er selbst Hilfe. Vor zwei Wochen brüstete sich SBV noch damit, dass er den Rivalen Coinbase kaufen könnte.

Nun muss er seine angeschlagene FTX dem Branchenkrösus Binance zum Kauf andienen. Der umstrittene Gründer von Binance Changpeng Zhao zögert aber. Er will das Angebot prüfen, zu Rahmenbedingungen und Konditionen äussert er sich nicht. Eine Übernahme von FTX wäre für die Krypto-Welt kurzfristig eine gute Nachricht, weil Investoren und Nutzer von FTX ihren Einsatz respektive ihre Einlagen nicht (oder nicht ganz) verlieren. Unter den Investoren finden sich auch die japanische Softbank, der Singapurer Staatsfonds Temasek und Pensionskassen aus Nordamerika.

Für das “Erwachsenwerden” der Krypto-Branche wäre die Übernahme durch Binance das falsche Zeichen. Eine Branche, die Demokratisierung und Dezentralisierung auf ihre Fahnen geschrieben hat, müsste den Handel auf wenigen Börsen abwickeln, die ein Quasi-Monopol aufweisen. Der Branchenleader Binance ist zudem kein Musterschüler. Offiziell verfügt das Unternehmen über keinen geografischen Hauptsitz und wird deshalb auch von keiner Behörde reguliert. Immer wieder kommen Geldwäschereivorwürfe auf.

FTX-Absturz reisst Krypto-Branche mit

Die Probleme von FTX belasten den ganzen Sektor. Die grossen Krypto-Währungen wie Bitcoin, Ethereum, Ripple und Cardano büssten am Dienstag teilweise zweistellig ein. Es war klar, dass es irgendwann zu einer grossen Bereinigung im Krypto-Bereich mit den über 20’000 Währungen und vielen halbseidenen Anbietern, Vermittlern und Börsen kommen wird. Das dies in einer Zeit eines Bärenmarktes an den traditionellen Märkten kommt, ist auch nicht ganz überraschend. Viele Spekulanten müssen momentan das, was von ihren Vermögenswerten noch übriggeblieben ist, zu Liquidität machen. Zahlreiche weniger bekannte Krypto-Broker und -Dienstleister sind in den vergangenen Monaten bereits ohne grosse Schlagzeilen eingegangen.

Der Kern der Krypto-Welt bleibt stabil. Auf Ethereum laufen unzählige Blockchain-Projekte zu Tokensierung von Vermögenswerten. Bitcoin hat es geschafft, Millionen von Nutzer anzuziehen, ohne dass dafür ein zentrales Unternehmen oder eine Marketingeinheit verantwortlich wäre. Das dezentrale Zahlungssystem funktioniert und ist fälschungssicher, das ist unzählige Male belegt. Doch zu welchem Wert (in Fiat-Währung) dies Ethereum und Bitcoin bewertet, bleibt ein Mysterium.