Nach öffentlicher Kritik
Die SNB habe ein schwerwiegendes Problem mit Frauen, hiess es in Medienberichten. Die Bank begegnet den Vorwürfen mit konkreten und weniger konkreten Massnahmen. Doch allmählich scheint der Wind zu drehen.
11. April 2022 • Beat Schmid

Die Vorwürfe gegen die Nationalbank sind happig: Sexismus, Mobbing, systematische Diskriminierung. So stand es in einem Artikel der "Republik". “Die Schweizerische Nationalbank ist die mächtigste Finanzinstitution der Schweiz, fest in Männerhand und sie hat ein schwerwiegendes Problem”, schrieb das Online-Magazin.

Die Nationalbank hat reagiert. Sie tut dies auf diskrete Weise in ihren Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten, die sie vor ein paar Tagen online gestellt hat. Im Jahr 2021 habe sie ihre Prozesse für Anstellungen und Beförderungen sowie für die Lohnfestlegung und -entwicklung “grundlegend” überprüft, schreiben Bankratspräsidentin Barbara Janom Steiner und Direktoriumspräsident Thomas Jordan im Vorwort des Geschäftsberichts.

Ein ad hoc eingerichteter Ausschuss des Bankrats habe das Projekt begleitet. “Das Ziel der Arbeiten war es, sicherzustellen, dass die SNB über wirkungsvolle, zeitgemässe Prozesse verfügt, die insbesondere Chancengleichheit gewährleisten und keine Diskriminierung zulassen”, heisst es weiter im Vorwort der ehemaligen Bündner Regierungsrätin und “Mr. Konservativ” (Thomas Jordan, “Republik”).

Nationalbank hält beim Lohn Toleranzschwelle ein

Im Artikel kommen zahlreiche anonyme Quellen zu Wort, welche die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern anprangern. Die Nationalbank liess eine “Lohngleichheitsanalyse” durch das Competence Centre for Diversity and Inclusion der Universität St. Gallen (HSG) erstellen. Das Analyseergebnis zeige, dass die SNB die betriebsinterne Lohngleichheit innerhalb der vom Gesetz vorgegebenen Toleranzschwelle von fünf Prozent einhält. Sie bekommt dafür das “We Pay Fair”-Label der HSG.

Ein weiterer Vorwurf zielt auf die Diversität. Durch die Organisation hindurch ziehe sich “ein manchmal leiser, öfter offenkundiger Sexismus”, der sich daran zeige, dass bei der Nationalbank auf 8 von 10 Führungs­posten Männer sitzen – in einem Departement gar 91 Prozent. “Die Ignoranz der SNB-Führung gegenüber ihrer problematischen Männerkultur führt dazu, dass viele talentierte Frauen ihr Glück anderswo versuchen. Das ist ungerecht gegenüber denjenigen Geldpolitikerinnen, die gerne in der Schweiz eine Karriere gemacht hätten”, heisst es in einem Artikel von “SWI Swissinfo.ch”.

Fluktuation der Frauen ist tiefer als bei Männern

Die Antwort der SNB darauf bleibt recht schwammig. Die Diversitätsstrategie, so erläutert die SNB, enthalte Massnahmen, die sich auf drei Stufen beziehen: erstens auf die Gewährleistung von Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung sowie zweitens auf den Abbau struktureller und kultureller Hindernisse. Drittens sollen “untervertretene Gruppen” mit weiteren Massnahmen “gezielt und differenziert” gefördert werden. Ein "internes Diversitätscontrolling" und die regelmässige Teilnahme an einem "Benchmarking" sollen die Entwicklung in Bezug auf Diversität und Inklusion über die Zeit messen.

Konkrete Massnahmen jedoch fehlen, die Frauenbeteiligung auf den verschiedenen Hierarchiestufen zu verbessern. Knapp ein Drittel der SNB-Mitarbeitenden sind Frauen. Der Frauenanteil auf Direktionsstufe konnte seit 2010 um 4,6 Prozentpunkte gesteigert werden und lag Ende 2021 bei 17,7 Prozent. Am höchsten sei dieser Anteil in den ökonomischen Bereichen und bei den Funktionen in der Führungsunterstützung, wie im Nachhaltigkeitsbericht zu lesen ist. Deutlich geringer sei er in den Bereichen Informatik und Sicherheit.

Ist die Nationalbank ein Arbeitsort, wo es sehr gut qualifizierte Frauen schwieriger als Männer haben, wo offener und versteckter Sexismus allgegenwärtig ist, dass “Frauen ihr Glück anderswo versuchen”? Nimmt man die Fluktuationsraten der SNB zum Massstab, sind Zweifel angebracht. Die Quote liegt mit 3,3 Prozent im Branchenvergleich extrem tief. Bei den Frauen ist sie mit 2,7 Prozent sogar noch tiefer als bei den Männern (3,5%). Allerdings war diese Quote bei den Frauen in den Jahren 2016 bis 2020 jeweils immer höher.

SNB liess Whistleblower-Stelle ISO-zertifizieren

Konkrete Neuerungen gibt es beim Meldesystem für Regelverstösse. Dieses sei angepasst worden und richte sich nun nach den Grundsätzen eines "neuen globalen Standards” (des sogenannten Whistleblowing Management Systems nach ISO 37002), heisst es. Ein externes Unternehmen habe in einem zweistufigen Verfahren das jetzt eingeführte Meldesystem zertifiziert. Diese soll “eine leichte Zugänglichkeit und einen hohen Schutz für alle Personen” bieten, die in Meldungen involviert seien, schreibt die SNB.

Wesentliches Element des neuen Hinweis-Managementsystems sei die Einrichtung “diverser Meldestellen”. Regelverstösse können nach "freier Wahl" an Vorgesetzte, an die Personalabteilung, an die Compliance sowie über eine elektronische Meldeplattform erstattet werden. Bei dieser Meldeplattform handle es sich um eine von einem unabhängigen Unternehmen angebotene, zertifizierte Plattform, über die eine Meldung erstattet werden kann. “Auf Wunsch” könne eine Meldung auch anonym eingereicht werden.

In der Fachliteratur kann man nachlesen: Ein Kernelement des ISO-Standards ist die Gewährleistung eines anonymen Dialogs mit dem Whistleblower. Doch Anonymität ist keine Voraussetzung für eine Zertifizierung. Die Anwender der ISO-Norm können selbst entscheiden, ob sie anonymen Berichten nachgehen wollen oder nicht.

Klar ist, selbst das beste Whistleblowing-System nützt nichts, wenn die Führung den Vorwürfen nicht nachgeht. Es wäre deshalb aufschlussreich zu erfahren, wie viele Hinweise von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern effektiv bei den verschiedenen Meldestellen der Nationalbank eingegangen sind und wie vielen nachgegangen wurde. Darüber jedoch gibt die SNB keine Auskunft.

Die Nationalbank sieht sich auf dem richtigen Weg. Die in der Presse erhobenen Vorwürfe stehen «im deutlichen Widerspruch» zu den eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen, sagte Generalsekretär Peter Schöpf gegenüber der Luzerner Zeitung (Artikel kostenpflichtig).

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