Digital Assets Briefing
Lange entwickelten sich die wichtigsten Kryptowährungen im Gleichschritt. Das ist aber immer weniger der Fall. Warum gehen sie plötzlich unterschiedliche Wege? Das und mehr lesen Sie diese Woche im Digital Assets Briefing.
29. April 2023 • Werner Grundlehner

In der zweiten Ausgabe des Digital Assets Briefing geht Werner Grundlehner einer Auffälligkeit bei den Kursen des Bitcoin und Ether nach. Was steckt dahinter, dass die beiden Zwillinge plötzlich getrennte Wege gehen?

Und den Short Cuts diese Woche:
• Ende März wurde es das Schweizer Crypto-Vreneli lanciert. Was ist daraus geworden?
• Der Krieg der US-Börsenaufsicht gegen den Kryptohandel wird intensiver.
• Der Schatten von Mt. Cox: Das ist mit den erbeuteten 850’000 Bitcoins geschehen?



Ethereum und Bitcoin entfremden sich - Chance für Diversifikation im Sektor?


Die Kryptowährungen sind eine junge Anlageklasse. Der "Methusalem" Bitcoin gibt in der Regel den Verlauf der Werteentwicklung vor. Der Rest des Sektors, mittlerweile über 23’000 Kryptowährungen, folgt im Gleichschritt. Einzelne kleine Kryptowährungen weisen wegen speziellen Hypes (etwa der Meme-Coin Dogecoin) oder wegen technischer Mängel und Ausfällen zwar hohe individuelle Kursschwankungen aus. Die beiden weitaus grössten und wichtigsten digitalen Währungen (Bitcoin und Ethereum) haben bisher jedoch eine hohe Korrelation gezeigt. Die beiden machen mit einer kumulierten Marktkapitalisierung von rund 790 Mrd. $ rund zwei Drittel des gesamten Kryptomarktes aus (Bitcoin 565 Milliarden Dollar, Ethereum 227 Miliarden).
In den vergangenen Wochen scheint aber diese Korrelation sich etwas zu reduzieren (vgl. Chart). Weil verlässliche Fundamentaldaten weiterhin rar sind und Spekulanten nach wie vor den Sektor dominieren, können über die Ursachen nur Vermutungen angestellt werden. Gründe, um die Wertentwicklung von Bitcoin und Ether unterschiedlich einzuschätzen, gibt es aber genug. Die Investoren beginnen denn auch, die beiden Kryptowährungen differenziert zu betrachten. In der Tat haben sie, ausser dass sie auf der Blockchain basieren, wenig gemeinsam.

Wenig Gemeinsamkeiten

Beide Systeme unterscheiden sich in ihrem Wesen. Bitcoin ist eine reine Kryptowährung, die es darauf anlegt, eine weitverbreitete offizielle Währung zu werden. Ethereum basiert ebenso wie Bitcoin auf einer Blockchain-Technologie, erweitert jedoch deren Verwendung. Dadurch können zusätzliche Anwendungen integriert werden (Smart contracts). Transaktionen innerhalb dieser Software werden mit der Kryptowährung Ether (ETH) abgewickelt.

Wegen der Stabilität und der Grösse des dezentralen Netzwerks und dem sicheren und energieintensiven Mining gilt der Bitcoin als digitales Gold. Investoren wollen sich mit der dezentralen, unabhängigen Währung gegen die Willkür von Notenbanken und eine mögliche Geldentwertung absichern. Zudem sind günstige, bankunabhängige Transaktionen weltweit ohne Zeitverzögerung möglich.

Die Basis des Web3

Weil der Ether-Coin mit Smart-Contracts verbunden werden kann, dient die Ethereum-Blockchain vor allem als Basis für Web3-Anwendungen. Meistens wenn neue DeFi-Apps (Decentraliced Finance), NFT (Non-Fungible Token) oder Metaverse-Anwendungen entstehen, ist Ethereum mit im Spiel. Auch Firmengründungen und Kapitalerhöhungen lassen sich dank der Tokenisierung von digitalen Wertrechten auf der Ethereum-Blockchain durchführen.

Zudem hat sich Ethereum mit dem "Merge" im vergangenen September von der "proof-of-work" zu einer "proof-of-stake"-Blockchain gewandelt. Der Vorwurf des zu hohen Energieaufwandes, der weiterhin gegen Bitcoin erhoben wird, trifft für die Nr. 2 der Kryptowährungen somit nicht mehr zu. Weil ein geringeres Mass an Rechenleistung für Etherum benötigt wird, ist das Netzwerk auch besser skalierbar.

Doch der Wechsel zu "proof-of-stake" bringt nicht nur Vorteile, so werden beim PoS-Prinzip diejenigen bevorzugt, die mehr Coins besitzen. Denn je mehr Coins Teilnehmende besitzen, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie vom Algorithmus für das Entschlüsseln des nächsten Blocks ausgewählt werden und die entsprechende Belohnung erhalten. Ein weiterer Nachteil kann darin bestehen, dass Ethereum im Vergleich zur früheren "proof-of-work"-Methode nicht mehr so stark dezentralisiert ist.

Die Entkoppelung der Wertentwicklung ist also eher logisch als zufällig – und bringt Investoren eine Wahlfreiheit. Etabliert sich das Eigenleben der Notierungen von Bitcoin und Etherum nachhaltig, ermöglicht dies Krypto-Anlegern auch innerhalb des Sektors sinnvoll zu diversifizieren, ohne in riskante "exotische" Coins anzulegen.

Short cuts: News aus der digitalen Welt

Der Krieg der US-Börsenaufsicht gegen den Kryptohandel wird intensiver

Die amerikanische Börsenaufsicht SEC unter der Führung von Gary Gensler hat in den vergangenen Monaten einen regelrechten Krieg gegen die Kryptobranche entfesselt. So hat die Behörde gleich mehrere Ermittlungsverfahren gegen grosse US-Krypto-Unternehmen eingeleitet, die nach Auffassung des SEC gegen geltendes Wertpapierrecht verstossen.

Für viele Beobachter sieht das jedoch nach einer "Regulierung durch Strafverfolgung" aus, ohne dass die Börsenaufsicht klare Regulierungsvorschriften formuliert, an denen sich die Branche ausrichten könnte. Entsprechend verweigert die SEC bisher klare Aussagen dazu, ob und welche Kryptowährungen potenziell als Wertpapiere einzustufen sind. Obwohl Gensler jüngst in einer parlamentarischen Anhörung ausführlich zum Thema befragt und unter Druck gesetzt wurde, verweigert der Vorsitzende der Behörde weiterhin einen konstruktiven Dialog mit der Kryptobranche und zieht sich so aus der politischen Verantwortung.

Vor wenigen Tagen hat nun Coinbase, eine der weltweit führenden Kryptowährungsbörsen, eine Klage gegen die SEC eingereicht. Coinbase fordert, dass die Regulierungsbehörde verpflichtet wird, ihre Antwort auf eine Petition vom Juli 2022 öffentlich zu teilen, in der Coinbase die SEC aufforderte, die Regulierung der Kryptoindustrie unter Verwendung bestehender Rahmenbedingungen zuzulassen. Zahlreiche US-Krypto-Dienstleister sollen sich mittlerweile ein Auswandern in krypto-freundlichere Regionen – etwa Europa - überlegen. Gerade in dieser Woche hat die EU eine Verordnung über Märkte für Krypto-Assets (MiCA) verabschiedet, diese schafft rechtliche Klarheit und Sicherheit für den europäischen Kryptomarkt.

https://www.bloomberg.com

So entwickelt sich das Crypto-Vreneli

Ende März berichtete tippinpoint über die Lancierung des "Crypto Vreneli". Damals lancierte der Goldhändler Philoro und der Kunst-Social-Market-Place Vivents die neue Goldmünze mit einer Unze Gewicht und einem integrierten NFT-Chip. Die erste limitierte Edition der Münze mit dem traditionellen Namen umfasst 100 Exemplare. Jeder NFT auf der Unzen-Münze, speichert ein unikates Vreneli-Motiv in Pixel-Art-Grafik. Die Verbindung von physischem Gold und digitaler Kunst hat einen stolzen Preis – annähernd 8000 Franken für das NFT (und die Neuprägung des Goldes) gibt der Investor also rund 6000 Franken aus (Kaufpreis minus Preis für eine Goldunze). Gemäss dem Sprecher von Philoro gingen die Crypto Vreneli der ersten Edition weg wie "warme Semmeln". Innerhalb einer Woche nach dem Start sei Philoro "beinahe" ausverkauft gewesen.

Wenn man den NFT des Vrenelis mit dem Smartphone ausliest, kommt der Investor zu einem kleinen Dashbord, auf welchem das Pixel-Art des unikaten Vreneli-Motivs zu sehen ist. Im Dashboard hat man die Möglichkeit, den NFT in eine Wallet zu übertragen und separat zu handeln. Dieser Prozess ist aber irreversibel. Wer seinen NFT einmal vom Crypto Vreneli herausgelöst hat, kann ihn nicht mehr mit dem physischen Crypto Vreneli verbinden.

Doch anscheinend hat sich noch kein Käufer getraut, das NFT vom physischen Gold zu trennen. Das wird ersichtlich, beim Blick auf die entsprechenden Smart Contracts (vgl. Links). Die Käufer halten also vorerst zumindest lieber ein überteuerte Unze Gold mit digitalem Kunstwerk, als in den NFT-Handel einzusteigen. Es scheint, als habe der Anbieter versucht, zu viele Features in ein Produkt zu packen, Kunst, NFT, Blockchain, phyisches Objekt – und alles zu einem hohen Verkaufspreis.

https://opensea.io

https://etherscan.io/

Der Schatten von Mt. Cox

Der Bitcoin neigt in der Berichtswoche etwas zur Schwäche und hat die psychologisch wichtige Marke von 30’000 Dollar wieder unterschritten. Am Mittwoch gab die grösste Kryptowährung kurzfristig über 8 Prozent nach. Grund war eine in Krypto-Zeiteinheiten "uralte" Geschichte, nämlich der Hacker-Angriff auf die Kyptobörse Mt. Gox im Jahr 2014. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Gerüchte, die damals entwendeten Bitcoins kämen wieder auf den Markt und würden diesen belasten.

Beim Mt. Gox-Angriff erbeuteten die Hacker 850’000 Bitcoins, die damals einen Wert von 500 Millionen Dollar aufwiesen und heute mit rund 17,8 Milliarden Dollar bewertet würden. Am Mittwoch gab es das Gerücht, dass es auf den Wallets von Mt. Gox, die von den US-Behörden verwaltet werden, Bewegungen gegeben habe.

Der Krypto-Dienstleister Matrixport relativierte aber die Gefahr für den Bitcoin-Kurs. Von den gestohlenen Bitcoins konnten nur 200’000 sichergestellt werden. Die geschädigten Investoren würden gemäss Matrixport nur einen Teil des Einsatzes zurückbekommen. Dabei werden die Geschädigten zwischen verschiedenen Varianten wählen, die nicht alle direkt den Bitcoin-Wert beeinflussen würden. Der Dienstleister weist aber darauf hin, dass sich Investoren einer möglichen Verteilung dieser Bitcoin bewusst sein müssten.

https://www.coindesk.com


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