Die Neuigkeiten kommen für den traditionsreichen Winterthurer Konzern und seine Hauptaktionäre Peter Spuhler und Martin Haefner zu einem schlechten Zeitpunkt. Eben erst kündigte Reiter ein weiteres Kostensenkungsprogramm und neue Entlassungen an. Nun erhält eine potenziell rufschädigende Angelegenheit neuen Auftrieb. Es geht um die Frage, ob Rieter in Usbekistan Schmiergelder gezahlt und betrügerische Transaktionen seiner Geschäftspartner im zentralasiatischen Land ermöglicht hat. Die Bundesanwaltschaft (BA) eröffnete am 20. Juni 2018 eine Strafuntersuchung gegen eine noch nicht näher ermittelte Täterschaft wegen des Verdachts der Bestechung fremder Amtsträger, der ungetreuen Geschäftsbesorgung und des Betrugs.
Laut Gerichtsunterlagen wirft die BA Rieter zwei Sachverhalte vor. Erstens geht es um eine als Beratungshonorar deklarierte Zahlung von 845'425 Dollar vom Juli 2011, die über zwischengeschaltete Firmen als Schmiergeld beim früheren usbekischen Generalstaatsanwalt Rashid Kadyrov gelandet sein soll. Der zweite Sachverhalt betrifft einen Betrugsverdacht. Und zwar im Zusammenhang mit Krediten unl Subventionen, die usbekische Geschäftsleute dank massiv überhöhten Kaufverträgen für den Bau und die Ausrüstung von Textilfabriken erhielten und die von Rieter an die Geschäftsleute zurückflossen. Es soll sich um dreistellige Dollarmillionenbeträge handeln.
Verdacht gründet auf Ermittlungen im Fall Karimowa
Die BA hatte früher bestätigt, dass die Verfahren um die Rieter-Geschäfte ein Nebenprodukt der Ermittlungen gegen Gulnara Karimowa waren. Die heute 53-Jährige ist die Tochter des 2016 verstorbenen usbekischen Präsidenten Islam Karimow. Sie ist seit 2014 in ihrer Heimat in Haft und muss sich hierzulande wegen organisierter Kriminalität, schwerer Geldwäscherei, Bestechung und Urkundenfälschung vor Bundesstrafgericht verantworten. Die BA ging im Zusammenhang mit Textilprojekten in Usbekistan Zahlungen über mehrere Millionen Dollar an ausländische Offshore-Gesellschaften nach, bei denen kein wirtschaftlich vernünftiger Sinn erkennbar sei. Zwei dieser Zahlungsempfängerinnen seien dem Firmenkonglomerat von Gulnara Karimowa zuzuordnen. In einem Fall habe Rieter Geld an eine Firma überwiesen, an der Karimowa die wirtschaftlich Berechtigte sei.
Rieter hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen und sieht sich als Opfer einer unzulässigen Beweisausforschung. Die von prominenten Anwälten vertretenen Winterthurer schienen im Februar 2022 Recht zu bekommen. Das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern kam zum Schluss, es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht für Vergehen oder Verbrechen. Es wies deshalb in einem sogenannten Entsiegelungsverfahren das Gesuch der BA ab, umfangreiche Aufzeichnungen und Unterlagen auswerten zu können, die die Bundeskriminalpolizei am 5. November 2020 bei einer Hausdurchsuchung sichergestellt hatte. Die Bundesanwaltschaft zog dieses Urteil aber ans Bundesgericht weiter und beschwerte sich über eine krass einseitige Würdigung ihrer bisherigen Ermittlungsergebnisse und offensichtlich unrichtige Sachverhaltsdarstellungen durch das Zwangsmassnahmengericht.
Am 6. Dezember 2022 hiess das Bundesgericht die Beschwerde der BA gut und verdonnerte das Zwangsmassnahmengericht zur «zügigen Prüfung» der verbleibenden Hindernisse für die Entsiegelung. Erneut zog sich das Verfahren in die Länge und schien die Kritik von Staatsanwälten zu bestätigen, wonach sich die Siegelung von einem Recht der Beschuldigten zum beliebten Verschleppungsmittel entwickelt hat.
Beweismittel für Verfahren gegen Rieter-Organe?
Nach weiteren drei Jahren hat das Berner Zwangsmassnahmengericht nun zum zweiten Mal entschieden und das Entsiegelungsgesuch der Bundesanwaltschaft vollumfänglich gutgeheissen. «Dem Gesuch wurde stattgegeben und sämtliche Dokumente sind entsiegelt worden», erklärte eine Rieter-Sprecherin auf Anfrage von Tippinpoint. Die Bundeanwaltschaft seit dabei, alle Unterlagen zu prüfen. Es handelt sich laut früheren Angaben um 30 Sammel-Asservate. Die Bundesanwaltschaft beschränkte sich auf die Aussage, wonach die Strafuntersuchung im Gang sei, weshalb keine weiteren Angaben gemacht werden könnten.
Das Verfahren richtet sich nach wie vor gegen Unbekannt. Vor Bundesgericht hatte die Bundesanwaltschaft erklärt, es sei davon auszugehen, dass die sichergestellten Aufzeichnungen diverse erhebliche Informationen und Beweismittel enthielten, «welche für die Strafuntersuchung (u.a. gegen die noch näher zu ermittelnden verantwortlichen Organe der privaten Beschwerdegegnerin) unerlässlich seien».

