Konkurs
Die beiden letzten Kosmos-Verwaltungsräte behaupten, dass alles viel schlimmer war als angenommen. Ein Blick in den aktuellen Geschäftsbericht zeigt, dass dies so nicht stimmt.
7. Dezember 2022 • Beat Schmid

“Es gab keine richtige Übergabe. Die finanzielle Lage wurde uns nicht transparent dargelegt”, sagt Szene-Gastronom und Kosmos-Verwaltungsrat Valentin Diem im Tages-Anzeiger. Gleich nach ihrem Eintritt hätten er und sein Verwaltungsrats-Kollege Robert Feusi ein externes Gutachten erstellen lassen. Dieses habe unter anderem massiv zu hohe Personal- und Warenkosten im Verhältnis zum Umsatz ergeben, schreibt die NZZ. Eine Revision habe dieses Ergebnis bestätigt.

Feusi von der Sprudelwasser-Firma Gazosa Monti sagt in der NZZ: “Dass es ein Sanierungsfall ist, war von aussen erkennbar. Doch wir erhielten keine Daten vorgelegt, keine Abschlüsse, nicht einmal des Vorjahres. Deshalb konnten wir das Ausmass der Alt- und Schuldenlasten nicht voraussehen, an denen das Projekt nun scheitert. Dabei könnte dieses Haus durchaus wirtschaftlich betrieben werden, aber nicht in der überdimensionierten Form mit dem Personalaufwand, wie es der Fall war. Und auch nicht ohne Subventionen.”

Die Aussagen der gescheiterten Kosmos-Verwaltungsräte sind erstaunlich. Der letztjährige Geschäftsbericht liegt allen Aktionären und weiteren Kreisen vor, das Protokoll der letzten ordentlichen Generalversammlung ebenfalls. Auch Tippinpoint ist im Besitz dieser Berichte. Wer darin blättert, erkennt schnell, dass die finanzielle Lage des Kultur- und Gastro-Betriebs nach zwei Corona-Jahren extrem angespannt war. Wer den Geschäftsbericht und das GV-Protokoll liest, erfährt, dass für das Jahr 2021 zwar ein Gewinn von 391’589 Franken ausgewiesen wurde – der erste überhaupt in der Geschichte des Kosmos – dieser aber nur wegen zwei ausserordentlichen Posten entstanden ist.

Forderungsverzicht und üppig fliessende Corona-Gelder

Zum einen führten üppig fliessende Covid-Gelder zu einer Entlastung der Kosten. Das Kosmos bekam einen Covid-19-Kredit über 500’000 Franken, ein Härtefalldarlehen über die gleiche Höhe, Kulturentschädigungen des Kantons Zürich über 613’697 Franken sowie Kurzarbeitsentschädigungen in der Höhe von 819’000 Franken. All das peppte die Rechnung des Kosmos auf – wie auch die Bilanzen vieler anderer Kulturbetriebe in der Schweiz, die mehrheitlich von Subventionen und Spendengeldern leben und sich von einem Jahr ins nächste hangeln.

Beim Kosmos speziell: Eine Gruppe von Aktionären verzichtete auf Darlehensforderungen in der Höhe von 1’531’030 Franken, was die Bilanz sanierte. Hätte dieser Forderungsverzicht nicht verbucht werden können, hätte der Jahresverlust 1,125 Millionen Franken betragen. Auch dass es sich dabei um einen “bedingten Forderungsverzicht” handelte, war allen Aktionären klar. Das bedeutet, dass die Gläubiger oder besser: die Gläubigerin – das Darlehen kam im Wesentlichen von Stina Werenfels, der Frau von Filmemacher und Kosmos-Mitgründer Samir – ihre Forderung wieder geltend machen kann, wenn das Kosmos einst finanziell florieren würde.

Der Jahresbericht wurde von der Buchprüfungsfirma BDO abgenommen. Daran ist nichts “dodgy”, wie die Aussagen von Feusi und Diem vermuten lassen. Man hätte sich allerdings die Mühe machen müssen, ihn auch zu lesen. Ein weiteres Gutachten hätte man sich sparen können.

Dass die Emotionen nach der Schliessung hochgehen würden und allerlei Unwahrheiten und Schuldzuweisungen verbreitet werden, erstaunt niemand angesichts der konfliktgeladenen Geschichte des Kulturhauses. Die “Republik” schrieb gestern in einem Kommentar, dass die frühere Verwaltungsratspräsidentin Monica Glisenti dieses Frühjahr einen neuen Mietvertrag mit den SBB unterschrieben habe, der die Jahresmiete von 650’000 Franken auf 1,3 Millionen hochsetzte – und damit ein Niveau erreichte, das “himmelweit über dem als tragbar betrachteten Ansatz” liegt.

Doch diesen Frühling wurde gar kein neuer Mietvertrag unterschrieben. Die 1,3 Millionen Franken Miete verhandelte der erste Verwaltungsrat mit den SBB. Der Zins wurde während der Corona-Zeit von den SBB auf 650’000 Franken reduziert. Die Miete war auch deshalb so hoch, weil die SBB die Hälfte des 16 Millionen Franken teuren Luxus-Ausbaus mitfinanzieren musste. Fakt ist, dass sich die Gründer schon beim Ausbau übernommen haben. Deshalb einigten sich der damalige Kosmos-Verwaltungsrat mit den SBB, die Hälfte der Ausbaukosten über die Miete abzustottern.

“Immer nur Vision”

“Wenn wir unsere Pflichten als Verwaltungsrat wahrnehmen, können wir nichts anderes tun, als den Konkurs anzumelden”, erklären Feusi und Diem in der NZZ. Das mag sein. Ihrer Glaubwürdigkeit als verantwortungsvolle Verwaltungsräte schadet allerdings, dass sie sich im Vorfeld ihres Kurzengagements nicht über die angespannte Lage des Kosmos informiert haben, wie sie behaupten.

Sie hätten auch erkennen müssen, dass zwischen dem Rücktritt des Verwaltungsrats Ende April und ihrem Einstieg Anfang September vier lange Monate verstrichen. Während dieser Zeit war das Kosmos mehr oder weniger führungslos. Dass dies nicht gut kommen kann in einem Unternehmen, das immer knapp am Abgrund wirtschaftet, hätten sie wissen müssen. Das ist auch das grosse Versagen der Aktionäre, die diesen Zustand gleichgültig hingenommen haben.

Die Schliessung ist deshalb folgerichtig. Und war nicht mehr abwendbar, zumal Feusi und Diem zuletzt noch versucht haben, mit einem Schuldenschnitt und einer Auffanggesellschaft die Schliessung zu verhindern – und damit scheiterten. Offenbar waren die Pläne den SBB zu wenig ausgegoren.

“Alles deutet darauf hin, dass das Kosmos immer nur Vision blieb ohne nachhaltige Machbarkeit”. Diese Botschaft hefteten Diem und Feusi an die nun geschlossenen Türen des Kosmos. Um dies beurteilen zu können, war ihr dreimonatiger Einsatz dann doch zu kurz.

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