Greenwashing als Reputationskiller
Greenwashing, Aktivistengruppen und NGOs stellen eine ganz neue "Bedrohung" für Unternehmen dar, sagt Compliance-Spezialistin Simone Nadelhofer im Interview. Werden Missstände aufgedeckt, kann das verheerende Folgen für die Reputation eines Unternehmens haben.
12. Juli 2022 • Beat Schmid

Sie ist auf Wirtschaftsstrafrecht und straf- und aufsichtsrechtliche Untersuchungen spezialisiert und berät Unternehmen im Bereich Compliance und Abhilfemassnahmen. Simone Nadelhofer, Partnerin im Zürcher Büro der Kanzlei Lalive, ist Co-Autorin des kürzlich erschienenen Buchs "Interne Untersuchungen", das im Helbing Lichtenhahn Verlag erschienen ist. Im Interview spricht sie über interne Compliance-Verstösse und wie Unternehmensleitungen am besten damit umgehen.

Frau Nadelhofer, Sie beschäftigen sich mit Compliance-Verstössen in Unternehmen. Können Sie sagen, wie häufig es zu solchen Verstössen in Schweizer Unternehmen kommt?

Compliance-Verstösse betreffen fast jedes Unternehmen, und zwar nicht nur die internationalen Grosskonzerne, sondern auch KMUs in der Schweiz. Gerade dort wird Compliance noch oft vernachlässigt. Die Ressourcen werden lieber anderswo investiert, was dann, in einem konkreten Fall eines Compliance-Verstosses, plötzlich sehr teuer werden kann.

Welche Arten von Verstössen kommen am häufigsten vor? Geht es um Korruption, Geldwäscherei, arbeitsrechtliche Verstösse, anderes?

Korruption ist ein Thema, mit dem wir in unserer Beratungstätigkeit für Unternehmen häufig konfrontiert sind. Geldwäscherei, Steuerdelikte, Betrug und Wettbewerbsverstösse sind ebenfalls wiederkehrende Themen. Zudem sehen wir auch regelmässig Probleme am Arbeitsplatz. Stichworte hierzu sind sexuelle Belästigung, namentlich #MeToo, oder Mobbing. Ein neueres Thema sind Verstösse gegen ESG. Gerade in diesem Bereich werden Unternehmen zunehmend nicht mehr nur am Gesetz gemessen, sondern auch an ihren eigenen Versprechen – und dafür zur Verantwortung gezogen. Nicht nur von Behörden, sondern auch von Kunden, Konsumenten oder Arbeitskräften und NGOs.

Wenn ein Skandal an die Öffentlichkeit kommt, reagieren die obersten Leitungsorgane oftmals überrascht. Ist das auch Ihre Einschätzung?

Das ist unterschiedlich. Tatsächlich aber ist es immer wieder so, dass Compliance Verstösse erstmals nicht bis zu den obersten Leitungsorganen durchdringen. Diese sind dann tatsächlich von Vorgängen überrascht, wenn sie öffentlich werden. Wir sehen aber auch Fälle, in welchen die oberste Leitung ihre Kontrollfunktion ernsthaft wahrnimmt und Compliance Verstösse gewissenhaft intern untersuchen und beheben lässt, ohne dass die Öffentlichkeit jemals davon erfährt.

Auf neue Themen wie Greenwashing scheinen Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen noch nicht adäquat zu reagieren. Fehlt ihnen das nötige Sensorium?

In meiner Beratungspraxis erlebe ich, dass Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen das Thema durchaus auf dem Radar haben und ernst nehmen. Das Thema ist aber für die meisten neu, und es fehlt an Erfahrungswerten. Wichtig ist, dass Unternehmen ihre Risiken kennen und kontrollieren. ESG ist heute auch Teil eines guten Compliance-Management-Systems. Zudem muss Unternehmen bewusst sein, dass die “Bedrohung” nicht mehr “nur” von Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden kommt, sondern auch neue Akteure im Spiel sind, die ernst genommen und ebenfalls so gut wie möglich berücksichtigt werden sollten.

Was meinen Sie damit?

Ich denke dabei zum Beispiel an Aktivistengruppen und NGOs, die sich zum Ziel setzen, Missstände aufzudecken und zu veröffentlichen. Ein solcher NGO-Bericht kann für die Reputation eines Unternehmens verheerende Folgen haben, zumal sich Aktivisten und NGOs die Dynamiken von Social Media zunutze machen. Gerade im Bereich ESG, der viele junge Menschen stark bewegt, die auf Social Media aktiv sind, kann dies zu einem nur schwer zu stoppenden "Shitstorm" führen, der von Social Media auf herkömmliche Medien überschwappt und dann plötzlich in aller Munde ist.

Ein spektakulärer Greenwashing-Fall ereignete sich beim Fondsunternehmen DWS. Was hätte die verantwortlichen Organe besser machen können?

Wie viele andere auch kenne ich diesen Fall nur aus den Medien, ohne hineinsehen zu können. Ich kann mich darum nicht konkret dazu äussern. Aufgrund der Medienberichterstattung scheint im Wesentlichen der Verdacht zu bestehen, dass in den Produkten “nicht drin war, was draufstand”. Aus Compliance-Sicht ist sowas grundsätzlich heikel.

Kommen heute Verstösse schneller ans Licht? Wegen Whistleblowerstellen, Hackerattacken, illoyale Mitarbeiter?

Heutzutage ist es etwas naiv, zu glauben, dass ein Verstoss geheim gehalten werden kann. Die Risiken kommen aus verschiedenen Ecken. Neben den von Ihnen erwähnten Quellen spielen auch Geldwäscherei-Meldungen von Banken eine Rolle. Zudem werden Missstände heutzutage auch von Journalisten und NGOs aufgedeckt, die diesen Themen aktiv nachgehen.

Wo kommt es zu den gravierendsten Verstössen? Gibt es Hierarchiestufen, die besonders anfällig sind?

Compliance Verstösse sehen wir oft im Bereich des mittleren Managements. Der Leistungsdruck ist dort oftmals sehr hoch, was zu Fehlverhalten verleiten kann, wenn die Zielerreichung in Gefahr ist.

Wie müssen Verwaltungsräte darauf reagieren? Ab wann müssen sie selbst eingreifen und eine interne Untersuchung durchführen?

Der Tone at the Top ist ganz entscheidend. Die Einhaltung der Compliance gehört in die Verantwortung des Verwaltungsrats, und dieser muss Verstössen nachgehen, gegebenenfalls durch eine interne Untersuchung. Je nach Komplexität – und immer, wenn die Geschäftsleitung involviert ist – empfiehlt es sich, für die interne Untersuchung externe Experten beizuziehen.

Was können Verwaltungsräte präventiv tun, damit es zu möglichst keinen Regelverstössen kommt?

Ein wirksames Compliance-Management-System, das nicht nur auf dem Papier oder in Computersystemen besteht, sondern auch effektiv von ganz oben vorgelebt wird, ist ein unabdingbares Fundament, um das Unternehmen vor schädigenden Verstössen zu schützen.