Ex-Präsident sagte die Unwahrheit
Das Salär von Pierin Vincenz wurde de facto gar nie gekürzt. Durchgewunken hatte dies der damalige Raiffeisen-Präsident Franz Marty.
14. Februar 2022 • Beat Schmid

Es war ein grosser Bluff, den die Spitzenleute von Raiffeisen Schweiz im März 2009 inszenierten. Sie traten vor die Medien und gaben bekannt, dass der maximale Nettolohn auf Stufe Geschäftsleitung künftig maximal 2 Millionen Franken betragen würde. 1,2 Millionen Franken fix und 800’000 Franken Bonus.

Zuvor hatte die «SonntagsZeitung» enthüllt, dass die Entschädigung für Pierin Vincenz zwischen 3 und 4 Millionen Franken liegen würde. Darauf gab es Druck von der Raiffeisen-Basis, die Cheflöhne in der Zentrale in St. Gallen transparent zu machen. Dort sah man sich genötigt, auf die Forderungen der Delegierten einzugehen.

Am 5. März 2009 war es dann soweit. Die Führung mit Pierin Vincenz und Präsident Franz Marty trat vor die Öffentlichkeit und präsentierte das neue Lohnsystem. Der «Tages-Anzeiger» schrieb damals: «Ganz freiwillig hat die Raiffeisen-Gruppe diese Obergrenze nicht festgelegt. Bankchef Pierin Vincenz hat mit seinem aufwendigen Lebensstil Schlagzeilen verursacht.» Auf Fragen, wie viel Vincenz früher verdient habe, ging Marty nicht ein: «Der Persönlichkeitsschutz gilt bis und mit 2008», sagte er.

Franz Marty sagte vor den Medien die Unwahrheit

Dann sagte er etwas, was er besser nicht gesagt hätte: Marty behauptete, dass die Löhne in der Chefetage der Raiffeisen-Zentrale entgegen den Medienberichten «nicht aus dem Ruder gelaufen seien», wie der Tages-Anzeiger damals festhielt.

Wie sich Jahre später herausstellt, sagte Marty damals die Unwahrheit. Denn die Löhne waren bei Raiffeisen komplett aus dem Ruder gelaufen, wie eine interne Untersuchung im Auftrag der Zürcher Staatsanwaltschaft ergab.

Gemäss dieser Untersuchung kassierte Vincenz für das Jahr 2008 einen Nettolohn von 13,7 Millionen Franken. Würde man diese Summe auf einen Bruttolohn hochrechnen, so wie dies bei der Offenlegung von CEO-Salären normalerweise der Fall ist, kam Vincenz auf ein Bruttosalär von über 15 Millionen Franken. 2008 war er somit der mit Abstand bestbezahlte Banker Schweiz.

Wahrscheinlich ist Vincenz Entschädigung so ziemlich die höchste gewesen, die ein Bank-CEO nach 2008 in der Schweiz überhaupt jemals kassiert hat. Sergio Ermotti von der UBS verdiente 2017 14,2 Millionen Franken. Nur vor 2008 haben die Grossbankenchefs mehr verdient. 2006 kassierte Ospel ein Salär von 26,6 Millionen Franken.

Allerdings spielte die UBS damals in einer anderen Liga und machte über 10 Milliarden Gewinn – wenn auch mit einem Geschäftsmodell, das sich als wenig nachhaltig erwies. Die Raiffeisen-Banken erzielten damals 700 Millionen Franken Gewinn.

Hoher Zahltag vor dem Lohndeckel macht stutzig

Der aussergewöhnliche hohe Zahltag unmittelbar vor Einführung des Lohndeckels für Vincenz macht stutzig. Es besteht der Verdacht, dass die Bank ihrem Konzernchef noch schnell einen Extrabatzen zustecken wollte – um die Millionen zu kompensieren, die er durch den Lohndeckel verlieren würde.

In der Zeitachse würde das passen: Anfang 2009 war Vincenz 53 Jahr alt. Schon damals war klar, dass er maximal bis zu seinem 60. Lebensjahr Raiffeisen-CEO bleiben würde. Verteilt man den Superbonus auf die verbleibenden Jahre, konnte Vincenz sein früheres Lohnniveau von drei bis vier Millionen Franken bis zu seiner frühzeitigen Pensionierung halten.

Vincenz hat das Geld nicht gestohlen. Es war der Verwaltungsrat mit Präsident Franz Marty, der ihm horrenden Lohnzahlungen bewillige, auch schon in den früheren Jahren. Auf Anfrage will sich Marty zu den Gründen, warum er Vincenz 2008 einen derart hohen Lohn bewilligte, mit Verweis auf das laufende Gerichtsverfahren nicht äussern. Auch Raiffeisen gab keine Stellungnahme ab.