Klagen gegen den Bund
Beim Bundesverwaltungsgericht häufen sich Klagen von Anlegern, die Geld durch den 16-Milliarden-Abschreiber verloren haben. Ihre Chancen dürften klein sein – in Unterlagen wird mit deutlichen Worten vor einem Totalverlust gewarnt.
21. April 2023 • Beat Schmid

Einen Monat nach dem Hauruck-Verkauf der Credit Suisse an die UBS kommt Schwung in die Maschinerie der Anwaltskanzleien. Von New York bis Singapur bringen sich Juristen in Stellung, die auf die Verwertung von Ansprüchen von Anlageopfern spezialisiert sind.

Fast täglich erscheinen Meldungen von neuen Klagen. Gestern berichtete die Financial Times von “mindestens 80 Investoren” aus Singapur, die die Schweizer Regierung verklagen wollen, weil diese beschlossen hat, von AT1-Coco-Bonds im Wert von 16 Milliarden Franken abzuschreiben. Die Begründung: Die Schweiz verstosse damit gegen ein Freihandelsabkommen.

Die Anwälte der Anlageopfer stellen sich auf den Standpunkt, dass die Schweiz damit gegen eine Klausel im Vertrag verstösst, die den gegenseitigen Schutz vor “unfairen staatlichen Massnahmen” sicherstellt. Die Schweiz hat mit den anderen EFTA-Staaten 2002 ein Freihandelsabkommen mit dem Inselstaat abgeschlossen.

“Hoffentlich etwas lernen”

“Man kann argumentieren, dass die Schweizer Regierung diesen Schutz verletzt hat, indem sie den legitimen Erwartungen der Investoren hinsichtlich der Rangfolge der Ansprüche zuwidergehandelt hat – dass nämlich die Inhaber von Anleihen einen höheren Rang haben als die Aktionäre”, sagte Jonathan Lim von der Kanzlei Wilmer-Hale gegenüber der FT.

Andere Anwälte sind skeptischer: “Ich habe diesen Ansatz noch nicht genau geprüft, aber ich würde sagen, dass es schwierig sein wird, dieses Argument zu gewinnen”, sagte ein Experte für internationale Schiedsverfahren.

Ein Investor, der Anfang des Jahres 500’000 Dollar seiner Ersparnisse in AT1-Cocos der Credit Suisse investiert hat, äussert sich ebenfalls zurückhaltend. “Ich bin nicht optimistisch, aber es ist besser, als nichts zu tun. Ich möchte bei diesem Debakel in der ersten Reihe sitzen und hoffentlich etwas lernen”, sagte er.

Finma verweist auf das Kleingedruckte

Die Finma stellt sich auf den Standpunkt, dass sie die Abschreibung der AT1-Papiere durchsetzen kann, wenn der Fortbestand der Bank gefährdet ist. Sie beruft sich dabei auf die Bestimmungen, die den Finanzinstrumenten zugrunde liegen. Finma-Chef Urban Angehrn hat in einer Medienkonferenz vor zwei Wochen darauf verwiesen und nannte in diesem Zusammenhang einen sogenannten Viability Event, der einen Abschreiber zulässt.

Was damit gemein ist, kann man in den Dokumenten der AT1-Instrumente nachlesen. Sie sind weiterhin auf der Website der Credit Suisse publiziert. Insgesamt sind 13 solcher Kapitalinstrumente aufgelistet, die zwischen 2013 und 2022 ausgegeben wurden. Das jüngste Instrument zu 1,65 Milliarden Dollar zahlt einen Coupon von horrenden 9,75 Prozent. Allein dieser hohe Zins hätte schon eine dicke Warnung für die Anleger sein müssen.

Aber auch in der 145-seitigen Dokumentation wird an verschiedener Stelle darauf verwiesen, dass die Instrumente nicht nur getriggert oder eben abgeschrieben werden, wenn das Eigenkapital unter die Schwelle von 7 Prozent fällt (wofür Coco-Instrumente ursprünglich konzipiert wurden), sondern eben auch bei einem Viability Event. Daraus geht auch hervor, dass die Aufsichtsbehörde sehr viel Macht hat, sie kann "subjektiv" entscheiden und gegen den Willen der Credit Suisse.

Viability Event – so steht es in den Unterlagen

“Das Eintreten eines Viability Events und einer daraus resultierenden Abschreibung unterliegt unter anderem einer subjektiven Entscheidung der Aufsichtsbehörde (....) Infolgedessen kann die Aufsichtsbehörde Massnahmen verlangen und/oder die Bundesregierung kann Massnahmen ergreifen, die zum Eintreten einer Abschreibung unter Umständen beitragen, die ausserhalb der Kontrolle der CS liegen und mit denen die CS nicht einverstanden ist.”

Die Aufsichtsbehörde kann eine Abschreibung durchsetzen, wenn sie feststellt, dass “übliche Massnahmen zur Verbesserung der Kapitaladäquanz der CS zu diesem Zeitpunkt unzureichend oder nicht durchführbar sind”. Diese Abschreibung ist eine “wesentliche Voraussetzung, um zu verhindern, dass die CS zahlungsunfähig wird, in Konkurs geht oder nicht in der Lage ist, einen wesentlichen Teil ihrer Schulden bei Fälligkeit zu begleichen oder ihre Geschäftstätigkeit einzustellen”.

In St. Gallen häufen sich die Klagen

Derweil trudeln beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen die Klagen ein. Bis am Mittwoch seien vier Beschwerden zu den betroffenen CS-Anleihen eingegangen und gestern Donnerstag seien “mehrere weitere” Beschwerden dazugekommen, sagte ein Gerichtssprecher auf Anfrage von AWP. Da die Beschwerdefrist noch laufe, könne die Zahl noch ansteigen. Wie die Tamedia-Zeitungen schreiben, hat auch die Pensionskasse der Migros Beschwerde eingereicht. Bei ihr geht es um einen Verlust von 100 Millionen Franken.

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