Deutsche Kundengelder
Mit dem Fall des Bankgeheimnisses wurde dem Geschäft mit Geldern aus dem nördlichen Nachbarland eine düstere Zukunft vorhergesagt. Doch jetzt berichten die Banken in Grenznähe plötzlich wieder von grossem Kundeninteresse.
25. November 2022 • Werner Grundlehner

“Das Geschäft brummt”, sagt ein Mitarbeiter im Private Banking einer Schweizer Bank in Kreuzlingen. Die deutschen Kunden würden wieder viel Geld in die Schweiz verschieben. Dieses Mal sei es im Unterschied zu den Zeiten, als noch das Schweizer Bankgeheimnis bestand, legales und versteuertes Geld. Der Banker meint, es laufe gar besser als in alten Zeiten. Zur Jahrtausendwende hatte seine Abteilung 14 Kundenberater beschäftigt. In den folgenden mageren Jahren sank diese Zahl auf 8, heute arbeiten wieder 18 Personen mit der Betreuung von deutschen Kunden.

"Es sind vor allem Unternehmer, die einen Teil ihres Geldes in Sicherheit bringen möchten." Die politischen und wirtschaftlichen Risiken seien ihnen in der Heimat zu gross. Eine solche Entwicklung hätte man nach dem Fall des Bankgeheimnisses nicht erwartet. Zudem bleibt sie unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit.

Der stabile Franken lockt

"Die St. Galler Kantonalbank verwaltet insgesamt 7,9 Milliarden Franken von deutschen Kunden", sagt Sprecherin Jolanda Meyer. Das entspricht 14 Prozent der verwalteten Vermögen der Gruppe. Darin enthalten sind 2,5 Milliarden der deutschen Tochtergesellschaften. Die SGKB hat als einzige Kantonalbank eigene Private-Banking-Niederlassungen in München und Frankfurt am Main. Diese wurden 2009 gegründet. Das Wachstum der Tochtergesellschaft ist gemäss Meyer “erfreulich”.

“Die Schweiz eignet sich sehr gut zur geografischen Diversifikation und der Schweizer Franken hat sich historisch als stabil erwiesen”, begründet die Sprecherin der SGKB den Erfolg. Dazu komme die hohe Qualität der Vermögensverwaltung und die freie Wahl des Buchungsstandortes (Schweiz oder Deutschland).

Volumen von ausländischen Kunden steigen um 21 Prozent

“Die Thurgauer Kantonalbank spürt eine steigende Nachfrage von Personen mit deutschem Wohnsitz”, sagt TKB-Sprecherin Tina Helfenberger. In Gesprächen würden die Interessenten vornehmlich die Schweiz als sicheren Hafen und die Frankenstärke als Beweggründe angeben. Das Bankinstitut konzentriere ihr Marktgebiet aber auf den Thurgau und angrenzende Regionen in der Schweiz.

Das Geschäft mit Auslandskunden sei von untergeordneter Bedeutung. “Traditionell gehören aber auch Kundinnen und Kunden insbesondere aus dem süddeutschen Raum zum Kundenkreis der TKB”, fügt die Sprecherin an. Gemäss Geschäftsbericht der TKB hat das Depotvolumen von ausländischen Klienten um 21 Prozent zugelegt. Der Auslandanteil des gesamten Depotvolumens beträgt 8 Prozent.

Die Kollegin bei der Schaffhauser Kantonalbank hält sich kürzer: “Die deutschen Bankkunden waren bei uns nie weg.” Detaillierte Auskünfte zu diesem Segment gebe die SHKB aus Konkurrenzgründen aber keine bekannt.

Kein Telefon, kein E-Mail, kein Besuch

Die hiesigen Banken müssen sich jedoch an die Regulierung halten, welche für das Geschäft mit Kunden gilt, die ihren Wohnsitz in der EU haben. Die Dienstleistungen dürfen in Deutschland nicht beworben werden. Diese dürfen nur auf Initiative oder Nachfrage des Kunden angeboten werden. Die deutschen Kunden dürfen nicht vor Ort, sondern nur aus der Schweiz beraten und betreut werden. Das nennt sich passive Dienstleistungsfreiheit.

Ein Vermögensberater, der seine Kunden von Zürich und Vaduz aus betreut, geht davon aus, dass diese Regeln kaum oder höchstens nachlässig beachtet werden. “Denn jeder möchte natürlich neue Kunden.” Das könne sich aber rächen. Er wisse von Kunden, die ein oder zwei Jahre nach der Offenlegung einer Bankverbindung ein Schreiben des Finanzamtes mit folgenden Fragen erhalten hätten: Wer hat sie betreut, wurden sie besucht, hat man ihnen E-Mails geschrieben, wo hat man sich mit dem Bankenvertreter getroffen? Das könne den deutschen Behörden Indizien bezüglich eines Verstosses geben, sagt er.

Die UBS hat mit einer Milliardenstrafe in Frankreich erfahren, dass es sehr teuer werden kann, wenn man europäische Kunden aktiv anspricht. Bereits ein Besuch bei Kunden oder ein Telefon durch den Kundenberater aus der Schweiz sind untersagt.

“Ich kann die Geschichte mit dem Run der deutschen Kunden auf Schweizer Banken nicht nachvollziehen”, sagt der Vermögensverwalter. Er sehe, dass der Kampf um jeden Kunden intensiv sei. Weil der Vermögensverwalter eine Niederlassung in Liechtenstein führt, hat er von dort den freien Zugang zu allen europäischen Kunden.

Der "hässliche" Peer

Wird der Druck der europäischen Behörden schon bald wieder zunehmen? Nach der Jahrtausendwende intensivierte Deutschland den Druck auf die Steueroase Schweiz. Schätzungen zufolge sollten damals 200 Milliarden Franken unversteuerte Vermögen in der Schweiz versteckt worden sein. Im Jahr 2009 provozierte der damalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück die Schweizer mit dem Vergleich: Sie seien wie Indianer, sie knickten ein, wenn man ihnen mit der Kavallerie von Fort Yuma nur drohe. Steinbrück wurde hierzulande zur Personifizierung des “hässlichen Deutschen”. Doch langfristig behielt er recht.

Im Mai 2014 wurde der internationale Druck für die Schweiz zu gross. Sie trat der Erklärung der OECD über den künftigen automatischen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten bei, womit das Bankgeheimnis grösstenteils aufgehoben wurde. Im Mai 2015 haben die EU und die Schweiz ein weitreichendes Steuerabkommen geschlossen, in der Folge werden seit dem Jahr 2018 alle Kontodaten untereinander zugänglich gemacht. Das Bankgeheimnis war Geschichte.

Persönliche Erinnerungen und die Entstehung des Schwarzgeld-Eldorados

Es ist, wie wenn es gestern gewesen wäre. Mitte der Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts absolvierte ich eine Banklehre in Kreuzlingen. Die Hauptstrasse der beschaulichen Kleinstadt am Bodensee führte direkt an den Hauptzoll, den Übergang nach Konstanz. Auf dem ersten Kilometer nach dem Zoll auf Schweizer Seite waren sämtliche Grossbanken (Bankgesellschaft, Bankverein, Kreditanstalt, Volksbank) sowie die Kantonalbank mit für den Ort völlig überdimensionierten Gebäuden präsent.

Am zweiten Übergang der Konstanzerstrasse hatten einige Banken Agenturen platziert. Das Ziel, die deutschen Kunden und ihr meist unversteuertes Geld gleich nach dem Grenzübertritt abzufangen. Das funktionierte ausgezeichnet und war ein rentables Geschäft, denn kein deutscher Kunde mit Schwarzgeld beschwerte sich über eine schlechte Anlageperformance oder hohe Gebühren.

Doch die “Schwarzgeldverwahrung” war keine fiese Geschäftspraktik, die von durchtriebenen Schweizer Bankern ausgedacht wurde. Die damalige Bundesrepublik half selbst kräftig mit, Steuergeld in die Schweiz zu verschieben.

In den 1970er-Jahren wurden sogenannte Tafelpapiere in Deutschland populär. Dabei handelt es sich um festverzinsliche Anleihen oder Anlagefonds, die nicht an der Börse gekauft werden, sondern im Rahmen eines “Geschäfts über die Tafel”, den Bankschalter, gehen. In der Regel gegen Bargeld und ohne dass sich der Käufer ausweisen muss.

Jedes Jahr schnippelte der Besitzer dieser Inhaberpapiere der Deutschen Bank, die Namen trugen wie Uni-Renta oder Inter-Renta, einen Coupon aus. Dieses kleine Papier berechtigt zum Bezug des Jahreszinses. Am Schalter musste der Inhaber sich nicht ausweisen und erhielt den vollen Zinsbetrag anonym in bar. Die Tafelpapiere sind damit ein ideales Mittel, um Schwarzgeld zu verstecken und wurden von den deutschen Bankangestellten entsprechend aktiv an die Kundschaft verkauft und als “kleine Steueroasen in Deutschland” bezeichnet.

Das Treiben mit dem meist unversteuerten Kapital wollte im Oktober 1987 der damalige Finanzminister Gerhard Stoltenberg stoppen. Er erhob eine Zahlstellensteuer von 10 Prozent. Die Zinscoupons konnten zwar weiterhin anonym eingelöst werden, aber das einlösende deutsche Institut war verpflichtet 10 Prozent des Ertrags an den Staat abzuliefern. Diese Steuer fiel jedoch nicht an, wenn man die Coupons im Ausland, also in Österreich, Luxemburg oder der Schweiz, einlöste. Das nutzten die Deutschen in Massen: Stoltenbergs Entscheid war der Auslöser einer wahren Kapitalflucht für Gelder, die in Deutschland längst “schwarz” gehortet wurden.

Für die Schweizer Banken nahe der Grenze setzte ein Einlösungs-Boom für Tafelpapier-Coupons ein. Die geschäftstüchtigen Schweizer überredeten dabei die deutschen Kunden gleich dazu, nicht nur die Coupons einzulösen, sondern die ganze Anleihe in der Schweiz zu lagern und auch die Zinsen hier anzulegen. Das Geschäft brummte. Als Deutscher musste man sich für die Eröffnung eines Wertschriftendepots einen Termin geben lassen – dies konnte mehrere Tage dauern. Die kleine SBG Kreuzlingen stieg innerhalb der SBG-Schweiz zur Nummer zwei punkto physischer Wertschriften-Einlieferungen auf. Konkurrenz-Institute vor Ort erlebten einen vergleichbaren Kundenansturm.

Heute braucht es keine solchen Tricks mehr. Eine wenig stabile europäische Gemeinschaftswährung, eine galoppierende Teuerung im Euro-Raum und die Androhung immer neuer Steuern in Deutschland lassen vermögende Bürger wieder nach sicheren Häfen im grenznahen Ausland Ausschau halten. Werner Grundlehner