Woke vs. anti-woke Energiemärkte
Trotz boomenden Öl- und Gas-Aktien kann sich eine Dekarbonisierungs-Strategie lohnen. Vor allem die Entwicklung der letzten Wochen muss den Petrolheads zu denken geben.
15. September 2022 • Beat Schmid

Was mussten sich Investoren alles anhören, die Aktien aus dem Öl- und Gas-Sektor aus ihren Portfolios gekippt haben? Sie seien Vertreter eines woken Kapitalismus, der verantwortlich dafür sei, dass die Energiemärkte aus dem Lot gerieten. Gemäss Aswath Damodaran, Value-Guru und Professor an der New York University, sind ESG-Investoren entweder naive Idioten und oder ausgebuffte Schurken.

Schaut man auf den S&P500-Index gehören die Unternehmen aus dem fossilen Energiesektor zu den klaren Gewinnern in diesem Jahr. Der Wert der Aktien hat sich zum Teil mehr als verdoppelt, Occidental Petroleum stieg um 123 Prozent. Der S&P500-Index dagegen ist um 16 Prozent gefallen.

Doch wie schaut der Vergleich zu den “woken” erneuerbaren Energien aus? Zieht man den breit abgestützten iShares Clean Energy ETF heran, ist das Bild klar: In den vergangenen 12 Monaten legten die Öl- und Gas-Aktien um 60 bis 80 Prozent zu, während der Clean Energy ETF nur um 20 Prozent anstieg. Zu den grössten Positionen im ETF gehören Firmen wie Enphase Energy, Sloaredge, Plug Power, Orsted oder First Solar.

Hat man die Entwicklung des letzten Jahres im Blick, war man vielleicht tatsächlich ein Idiot, nicht in Öl- und Gas-Aktien investiert zu haben. Doch seit Mitte Juni fällt der Ölpreis. Ein Barrel der Sorte Brent kostete vor drei Monaten über 120 Dollar. Gestern lag der Preis bei 93 Dollar – das entspricht einem Minus von rund 25 Prozent. Ist man immer noch ein Dummkopf, wenn man den fossilen Sektor gemieden hat?

Blickt man auf die Entwicklung der Aktienkurse, sind Zweifel angebracht. Seit Juni haben die Titel von Oil Majors wie ExxonMobil, Chevron und Shell zwischen 5 und 10 Prozent zugelegt. Der Clean Energy ETF legte im gleichen Zeitraum um über 30 Prozent zu.

Und betrachtet man die Entwicklung auf lange Sicht, sind Anleger mit einem entkarbonisierten Portfolio deutlich besser dran als Öl-Investoren. Seit 2018 stieg der Clean Energy ETF um knapp 200 Prozent. Ende 2020 erreichte er den bisherigen Höchststand. Langsam nähert er sich wieder dieser Höchstmarke an. Die Aktien der grossen Mineralölgesellschaften legten in der gleichen Zeitspanne um wenige Prozente bis knapp 30 Prozent zu.

Die Entwicklung der letzten Wochen könnte auch politische Auswirkungen haben. In den USA haben republikanisch dominierte Bundesstaaten eine Hetzkampagne gegen Banken und Asset-Manager angezettelt, die in ihren Unternehmensstrategien ein Netto-Null-Ziel verfolgen.

In Texas kamen die Credit Suisse und die UBS auf eine schwarze Liste des sogenannten Comptrollers , der es als erwiesen ansah, dass die Schweizer Grossbanken und acht weitere Finanzinstitute den texanischen Erdöl- und Gassektor boykottieren.

Über 20 US-Bundesstaaten haben Gesetze in Kraft gesetzt oder werden dies noch tun, die Finanzfirmen bestrafen, die Unternehmen aus dem fossilen Energiesektor bei Investitionsentscheidungen ausschliessen oder marginalisieren.

Der Anti-Woke-Bewegung geben die Märkte wieder unrecht

Neunzehn Generalstaatsanwälte von republikanischen Bundesstaaten haben Anfang Monat einen Brief an Blackrock geschrieben und das Unternehmen darin für seine Haltung zu Energieinvestitionen kritisiert. Blackrock antwortete in einem Schreiben, dass sein Engagement in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) sich “mit unserer treuhänderischen Verantwortung” ein Einklang befinden würde.

Für anti-woke Bundesstaaten in den USA ist es einfacher gegen ESG-Investitionen zu wettern und den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern als blanken Unsinn zu abzutun, wenn ihnen die Märkte recht geben. Das war aber nur bis Mitte Juni der Fall. Seither hat der Wind gedreht.

Allerdings, die Märkte dürften in den nächsten Monaten volatil bleiben. Doch zu behaupten, Anlegerinnen und Anleger mit einem entkarbonisierten Portfolio seien “naive Idioten”, könnte sich noch als grosse Dummheit erweisen.

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