Trotz Ende der Corona-Regeln
Virtuelle Generalversammlungen ohne Publikum mögen zwar praktisch für die Manager sein, doch für die Aktionärsdemokratie sind solche Hor-Sol-Veranstaltungen schädlich.
12. April 2022 • Beat Schmid

Am 5. Mai findet die Generalversammlung des Pharmaunternehmens Lonza statt. In der Einladung heisst es, dass aufgrund der “aktuellen Umstände” und “im Einklang mit den einschlägigen Covid-19-Vorschriften” die ordentliche Generalversammlung 2022 ohne Anwesenheit der Aktionäre durchgeführt werde. Die Aktionäre werden “gebeten und ermuntert”, ihr Stimmrecht über den unabhängigen Stimmrechtsvertreter auszuüben. Datum der Einladung: 24. März 2022, gezeichnet ist die Einladung von Albert Baehny, dem Verwaltungsratspräsidenten.

Allerdings gab es zum Zeitpunkt der Einladung in der Schweiz längst keine einschlägigen Covid-19-Vorschriften mehr, die eine physische Versammlung verboten hätten. Bekanntlich hatte der Bundesrat am 17. Februar alle Massnahmen aufgehoben – einzig die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr sowie in Gesundheitseinrichten blieben noch bis Ende März bestehen. Überall sonst – in Läden, Restaurants und öffentlich Einrichtungen sowie an Veranstaltungen – war der Zugang ohne Maske und Zertifikat wieder möglich.

“Man wird den Eindruck nicht los, als wollten viele Unternehmen gar keine physischen Versammlungen durchführen”

Wie Lonza sind viele grosse Unternehmen verfahren. Allein in dieser verkürzten Woche finden 14 GVs ohne physische Präsenz statt. Auch die Credit Suisse, die ihre Generalversammlung am 29. April abhält, hat das Publikum ausgeladen. Die Bank schreibt auf der Website, dass der Verwaltungsrat die Entscheidung “zu einem früheren Zeitpunkt” in diesem Jahr getroffen habe, als die Corona-Massnahmen “noch in Kraft waren”, um die “Gesundheit unserer Aktionärinnen und Aktionäre sowie unserer Mitarbeitenden zu schützen und die Planungssicherheit zu gewährleisten”.

Immerhin bietet die CS einen Webcast an, über den Interessierte die Geschäfte verfolgen können. Aktionäre können auch Wortmeldungen einreichen, doch sie müssen über einen Onlineschalter einen Text einreichen, der maximal 1000 Zeichen lang sein darf. Die Bank behält sich zudem vor, die Meldungen zusammenzufassen.

Man wird den Eindruck nicht los, als wollten viele Unternehmen gar keine physischen Versammlungen durchführen. Dass sie die Corona-Regeln aus Ausrede missbrauchen, sich den kritischen Aktionärsvoten nicht stellen zu müssen. Freilich würden die Unternehmen dies nie zugeben.

Die Folge ist, dass Konzernmanager, denen der Kontakt zur Aktionärsbasis ohnehin zunehmend abhanden kommt, sich noch weiter vom “Fussvolk” entfernen. Das zeigte sich auch letzte Woche bei der UBS. Die Versammlung war nach nur einer Stunde vorbei. Alle Anträge kamen ohne Gezeter durch. Das ist zwar praktisch für die Manager – doch für Aktionärsdemokratie sind solche Hor-Sol-Veranstaltungen schädlich. Die Konzernchefs müssen sich nicht wundern, wenn die nächste wirtschaftspolitische Abstimmung verloren geht.

An der letzten GV der CS standen noch Rohner und Thiam auf der Bühne

Bei der CS kam es im Frühling 2019 zum letzten physischen Kontakt zwischen Topmanagement und Aktionären, damals noch mit Konzernchef Tidjane Thiam und Präsident Urs Rohner. Weil die Bank trotz Verlusten hohe Boni ausschüttete, war das Medieninteresse gross. Das Schweizer Fernsehen berichtete live aus dem Hallenstadion. Zudem gab es eine spektakuläre Aktion von Greenpeace-Aktivisten, die über dem Rednerpult ein Transparent entrollten.

Auch dieses Jahr wäre die GV der Credit Suisse ein medialer Blockbuster gewesen, wo sich die Verantwortlichen kritischen Fragen hätten stellen müssen. Jetzt wird Verwaltungsrat und Geschäftsleitung voraussichtlich im April 2023 das nächste Mal vor die Aktionäre treten – also vier Jahre nach der letzten denkwürdigen Veranstaltung.