Nachhaltigkeitsboom
Schweizer Spezialisten befinden sich weit oben auf der Einkaufsliste grosser Dienstleistungsfirmen – erst vor wenigen Wochen wurde die Westschweizer Quantis von Boston Consulting geschluckt. Laut M&A-Experten wird es 2023 weitere Übernahmen geben.
6. Januar 2023 • Beat Schmid

Was haben Quantis und Carbon Delta gemeinsam? Beide Unternehmen beschäftigen sich mit Nachhaltigkeitsthemen und haben ihre Wurzeln in der Schweiz – und sie wurden von grossen Dienstleistungsfirmen gekauft. Carbon Delta wurde von MSCI geschluckt. Quantis letzten Herbst von der Boston Consulting Group.

Quantis wurde 2006 in der Schweiz von EPFL-Absolventen gegründet und hat seinen Hauptsitz in Lausanne. Es ist mit insgesamt 270 Beschäftigen an sieben Standorten weltweit präsent. Gemäss eigenen Angaben berät die Firma vor allem Kunden aus dem Konsumgütergeschäft und dem Handel. Auf der Website sind Namen wie Armani, Nestlé oder Apple aufgeführt. Auch Carbon Delta ist ein ETH-Spin-off. Es wurde 2015 von Computerwissenschaftler Oliver Marchand in Zürich gegründet. Das Datenanalyse-Unternehmen, das auf ESG-Ratings von börsenkotierten Firmen spezialisiert ist, wurde 2019 vor der Börsenindexanbieterin MSCI gekauft.

Quantis bietet eine breite Palette von Beratungsdiensten an, vom Klimawandel über den Biodiversitätsverlust bis hin zu Wasserknappheit, Entwaldung und Verschmutzung durch Plastik. Der Zusammenschluss mit Boston Consulting bietet Quantis die Chance, an grösseren und spannenderen Mandaten zu arbeiten. Dimitri Caudrelier, CEO von Quantis, sagt, dass die Fusion mit BCG es ermöglichen würde, die wissenschaftsbasierte, nachhaltige Transformation zu beschleunigen. Der CEO der Boston Consulting Group, Christoph Schweizer, beschreibt die Übernahme als einen “aufregenden Schritt in Richtung unseres Zieles, unseren Kunden zu helfen, den Planeten zu schützen und sich nachhaltig zu verändern”.

Klimawandel löst Digitalisierungstrend als Topthema ab

Der Klimawandel ist das Thema der Stunde in der Beratungsszene. Es gibt kaum ein Projekt, an dem Nachhaltigkeitsspezialisten nicht beteiligt sind. Lange haben Unternehmensberater vor allem am Digitalisierungstrend gut verdient. Jetzt positionieren sie sich für ein neues Milliardengeschäft: die Dekarbonisierung der Wirtschaft. Die Energiekrise macht diesen Bereich noch wichtiger, lassen sich über effiziente Energiesysteme doch kurzfristig die Kosten drücken.

Hinzu kommen neue Gesetze, die Unternehmen verpflichten, über die nicht-finanzielle Belange zu rapportieren. In der Schweiz müssen grosse Unternehmen ab diesem Jahr erstmals über ihren CO₂-Fussabdruck Auskunft geben. Allein die Implementierung dieser Vorschrift löst einen zusätzlichen Beratungsaufwand aus. Beratungsunternehmen wie Deloitte, PWC oder KPMG suchen deshalb händeringend nach qualifiziertem Personal.

Auch Boston Consulting wird trotz der Übernahme von Quantis weiter Personal mit Umwelt-Know-how einstellen. “Zusätzlich zur Stärkung von BCG durch die Übernahme von Quantis planen wir, in den kommenden Jahren Tausende weitere Klima- und Nachhaltigkeitsfachleute einzustellen und unser Partnernetzwerk weiter auszubauen”, sagte Schweizer.

Manuel Wildhaber von Stockalper Partners war als M&A-Berater beim Kauf von Quantis durch Boston Consulting involviert. Er sagt zu Tippinpoint: Klar verliere ein Unternehmen einen Teil seiner Unabhängigkeit, wenn es verkauft werde. Aber es erhalte eine “enorme Beschleunigung in Bezug auf Zugang, Mandatsgrösse und -bedeutung sowie Gesamteinfluss”. Mit Fusionen und Übernahmen erreichen sie “fast über Nacht” Einfluss, den sie vielleicht nicht einmal in zehn Jahren Wachstum allein aufbauen könnten. Wildhaber versteht M&A als ein effizientes Instrument, um die ökologische Nachhaltigkeit von Unternehmen voranzutreiben. “Es geht darum, Ressourcen und Synergien zu schaffen, die nachhaltige Technologien, Konzepte und Strategien sprunghaft voranbringen”, sagt Wildhaber im Gespräch.

Herr Wildhaber, wird es 2023 weitere Transaktionen geben?

Auf jeden Fall, aus unserer Sicht ist das ein Trend, der noch lange anhalten wird. Wir beobachten in unserem Umfeld, dass viele neue Start-ups gegründet werden, um den zukünftigen Pool von potenziellen Akquisitionen zu speisen. Solche Transaktionen werden in Zukunft noch wichtiger werden. Wir sprechen von einer Transformation der Wirtschaft: Ganze Lieferketten und Prozesse werden angepasst und umstrukturiert werden müssen, um die Netto-Null-Ziele zu erreichen. Das ist für viele kleine Unternehmen ohne einen starken Partner wirtschaftlich unmöglich.

Warum bauen die grossen Player diese Kompetenzen nicht selber auf?

Ein wichtiger Faktor ist der Fachkräftemangel. Es ist unbestritten, dass die Wirtschaft transformiert werden muss: Und für diese Transformation braucht es sehr spezifisches Know-how, das sich eben nicht so schnell aufbauen lässt. Die Ressourcen in diesem Bereich sind sehr knapp. Es dauert Jahre, einen Wissenschaftler auszubilden, der sich mit Umweltdaten auskennt, diese auswerten und interpretieren kann. Für eine profunde Expertise reicht es nicht, ein MBA-Profil mit einigen Kursen und Weiterbildungen zu entwickeln. Angesichts des derzeitigen Hypes bleibt zu hoffen, dass sich in Zukunft mehr junge Menschen für diese Studien und Ausbildungen entscheiden werden – der Bildungsplatz Schweiz spielt da eine wichtige Rolle – aber das Ganze braucht Zeit.

Nachhaltigkeit wird immer mehr zu einem Mainstream-Thema. Haben kleine, spezialisierte Beratungsfirmen im Bereich Sustainability überhaupt eine Chance, unabhängig zu bleiben?

Natürlich haben sie eine Chance. Die Gesamtnachfrage ist nahezu unbegrenzt. Die grösste Herausforderung für sie besteht darin, schnell zu skalieren. Das bedeutet einerseits einen Umbau der internen Organisation und andererseits Zugang zu Wachstumskapital. Es gibt eine Vielzahl von Risikokapital-Fonds, die wachsende Unternehmen in diesem Bereich unterstützen. Der Haken an der Sache ist, dass sich die grossen Beratungsunternehmen aufrüsten, sodass der Wettbewerb für die kleinen Firmen härter werden dürfte.

Müssen sie sich spezialisieren?

Wenn sich eine Firma auf KMU konzentriert, sieht die Sache anders aus. Die Zahl der potenziellen Kunden, die sie bedienen können, ist enorm. Daher ist es wichtig, dass sich die Umweltberater auf ein bestimmtes Segment konzentrieren, was sich wiederum auf ihr gesamtes Geschäftsmodell auswirkt. Es ist komplex, eine grosse Anzahl kleinerer Mandate zu bearbeiten, entsprechend braucht es die richtigen Instrumente und das richtige Geschäftsmodell. Digitale Werkzeuge und solide Prozesse sind der Schlüssel dieser Gleichung.
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