Covid-19-Pandemie
Paukenschlag in der Schweizer Startup-Szene: Der Weltmarktführer für Computer-Peripherie übernimmt eine Zürcher Lufthygiene-Spezialistin und steigt ins Geschäft mit CO₂-Messgeräten ein.
30. September 2022 • Beat Schmid

Das Zürcher Startup-Unternehmen Airica bekommt einen neuen, prominenten Besitzer. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich der Westschweizer Milliardenkonzern Logitech das Jungunternehmen geschnappt. Mehrere Quellen bestätigen den Verkauf. Gemäss Handelsregister wurde der Deal im Juli durchgezogen.

Auf dieses Datum wurde die Adresse von Airica an den Zürcher Sitz von Logitech verlegt. Zudem wurde mit François Stettler ein Logitech-Manager in den Verwaltungsrat gewählt, der über die Einzelunterschrift verfügt. Stettler ist Rechtschef des Bereichs Global Commercial. Vertreter von Airica können sich zum Deal nicht äussern, da zwischen den Parteien ein Non-Disclosure-Agreement vereinbart wurde.

Im Einsatz bei Holcim und Glencore

Das Startup wurde 2020 von Lukas Limacher und Andreas Suter gegründet. Bereits vor der Firmengründung entwickelten sie ein Luftmesssystem, das inzwischen in Büros, Fitnesscentern und Schulen eingesetzt wird. Zu den Kunden von Airica gehören unter anderem Konzerne wie Holcim, Novartis und Glencore.

Einen Schub erlebte Airica während der Corona-Pandemie. Unternehmen fragten die Lösung nach, um ihre Mitarbeiter vor Ansteckungen zu schützen – und sie auch wieder zurück an den Arbeitsplatz zu holen. In Luzern wurde an den Schulen ein grossangelegtes Projekt durchgeführt, um Erkenntnisse zu gewinnen, wie oft die Fenster zum Lüften geöffnet werden sollen.

Das Produkt besteht im Kern aus zwei Teilen, den eigentlichen Luftsensoren, die in den Innenräumen platziert werden. Herzstück der Geräte, die Ähnlichkeiten mit WLAN-Hotspots haben, ist ein spezieller Sensorchip, der CO₂-Konzentration, Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, flüchtige organische Verbindungen und Feinstaub misst.

Die Geräte sind drahtlos an ein Softwaresystem angeschlossen, welches die Daten auswertet und interpretiert. In diesem sogenannten Dashboard können Schwellwerte gesetzt werden, die anzeigen, wann ein Fenster zum Lüften geöffnet werden muss.

Software erkennt, wie viele Menschen sich in einem Raum befinden

Die Airica-Software kann auch mit Lüftungssystemen verbunden werden, sodass automatisch der Luftaustausch erhöht wird, wenn die CO₂-Konzentration in einem Grossraum-Büro den Grenzwert von 900 ppm CO₂ überschreitet. Die Vision des Unternehmens ist es gemäss eigener Beschreibung, gesunde Innenräume zu schaffen und die Bevölkerung für das Thema “Indoor Air Quality” zu sensibilisieren.

Die Software kann aber noch mehr. Airica hat Machine-Learning-Algorithmen entwickelt, die erkennen, wie viele Menschen sich in einem Raum befinden. Dabei wird die Raumbelegung direkt aus der Messung der Raumluftqualität abgeleitet. Im Unterschied zu Lösungen, die auf Kameras und Mikrofone setzen, garantiert das laut Airica die volle Privatsphäre. Die Belegungserkennung ist für Räume von bis zu 70 Quadratmetern möglich.

Logitech, die zunächst nicht auf eine Anfrage von Tippinpoint nicht reagierte, bestätigte am Freitagnachmittag den Deal per E-Mail. "Ja, Airica ist nun Teil von Logitech", schreibt Nicole Kenyon, Head Global Corporate and Internal Communications. Weitere Angaben machte sie nicht.

Das Unternehmen will dem Vernehmen nach die Lufthygiene-Lösung unter anderem in ihre Videokonferenzsysteme einbauen. Das Unternehmen entwickelt und vertreibt eine breite Palette von Kameras, Lautsprechern und Mikrofonen für Private und Firmen.

Logitech generiert 5,5 Milliarden Dollar Umsatz und wird an der Schweizer Börse mit 7,7 Milliarden Franken bewertet. Das Unternehmen hat seinen Sitz zwar in der Westschweiz, doch das Herz der Firma schlägt seit vielen Jahren im Silicon Valley. Dort wurde man auch auf das Schweizer Startup aufmerksam.

Venturefonds Session.vc war beteiligt

Über die Höhe des Deals ist nichts bekannt. Es dürfte sich um einen tiefen bis mittleren zweistelligen Millionenbetrag handeln. Lukas Limacher, Mitgründer und Kopf hinter Airica, sowie weitere Schlüsselmitarbeiter dürften sämtliche Aktien verkauft haben. Ebenfalls verkauft hat der Venturefund Session.vc, der bei Airica im Jahr 2021 eingestiegen ist. Der Fonds war unter anderem auch bei Bexio, On Shoes, Guuru und Nutmeg beteiligt.