Korruption und Geldwäscherei
Transparency International lanciert heute einen Bericht über die Gründe, warum es in der Schweiz zu auffallend wenigen Urteilen kam. Geschäftsführer Martin Hilti erklärt im Interview, warum eine strengere Praxis auch für Unternehmen Vorteile hätte.
13. Januar 2023 • Beat Schmid

In Korruption und Geldwäscherei verwickelte Unternehmen werden in der Schweiz bloss ganz vereinzelt strafrechtlich verurteilt. Gemäss einem neuen Report von Transparency International kam es in den letzten 20 Jahren lediglich zu 10 rechtskräftigen Urteilen gegen Unternehmen.

Der Grund für die tiefe Zahl liege "massgeblich auch an Nachlässigkeiten der Staatsanwaltschaften", schreibt das NGO. Sie seien zu weiten Teilen auf die aktive Mithilfe der fehlbaren Unternehmen angewiesen, wenn es gelingen soll, diese strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, heisst es im Bericht.

Die Staatsanwaltschaften hätten es bislang aber verfehlt, die dafür nötige Rechtssicherheit zu schaffen. Sie sollten deshalb verbindliche und öffentlich zugängliche Wegleitungen zu ihrer Anwendungspraxis erlassen und die erforderlichen Massnahmen treffen, um rasch und zuverlässig Zugang zu ihren Strafbefehlen gewährleisten zu können.

Alstom, Odebrecht, Gunvor, ABB

Unternehmen machen sich in der Schweiz seit fast 20 Jahren strafbar, wenn sie nicht alle erforderlichen Massnahmen getroffen haben, um schwere Straftaten wie Korruption und Geldwäscherei zu verhindern. Bislang rechtskräftig verurteilt wurden: Alstom Network Schweiz (2011), Standford Group (2014), Odebrecht (2016), Gunvor (2019), SMB Offshore (2021) und ABB (2022) sowie vier weitere Unternehmen, die nicht bekannt sind.

Das NGO geht davon aus, dass rund jedes fünfte exportierende Schweizer Unternehmen im Ausland “informelle Zahlungen” leistet. Aus rechtsstaatlichen und Präventivgesichtspunkten seit diese Situation unbefriedigend, heisst es im Bericht.

Martin Hilti ist Geschäftsführer von Transparency International. Im Interview erklärt er, warum es in der Schweiz zu sehr wenigen rechtskräftigen Urteilen im Bereich Korruption und Geldwäscherei gekommen ist. Und was geschehen müssen, dass sich das ändert.

Herr Hilti, wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich zu anderen Ländern bei der Korruptions- und Geldwäschereiprävention und -bekämpfung?

Das kommt darauf an, wo man hinschaut. Im öffentlichen Sektor schneidet die Schweiz im Ländervergleich grundsätzlich gut ab. Im Privatsektor ist das anders; Umfragen zufolge haben rund 20 Prozent der exportierenden Schweizer Unternehmen im Ausland bereits bestochen. Und bei der Geldwäschereibekämpfung erfüllt die Schweiz in wichtigen Bereichen nicht einmal den internationalen Minimalstandard, der sich etabliert hat. So ist in der Schweiz etwa, anders als in ganz Europa, die Gründung und Verwaltung von Sitzgesellschaften nicht dem Geldwäschereigesetz unterstellt, obwohl solche Konstrukte mit Vorliebe für Geldwäscherei verwendet werden.

10 Unternehmen wurden in den letzten 20 Jahren rechtskräftig verurteilt. Ihre Organisation spricht davon, dass fehlbare Unternehmen nur tröpfchenweise verfolgt werden. Sind die Staatsanwaltschaften nachlässig?

Die bestehenden Probleme gehen tatsächlich massgeblich auch auf Versäumnisse bei den Staatsanwaltschaften zurück. Nach unseren Erkenntnissen sind die Staatsanwaltschaften zu wesentlichen Teilen auf die aktive Mithilfe der kriminellen Unternehmen angewiesen, wenn es gelingen soll, diese strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Einem Unternehmen seine Strafbarkeit nachzuweisen ist nämlich nicht leicht, bereits weil die dafür oftmals erforderliche Rechtshilfe mit anderen Staaten nicht genügend funktioniert. Zudem fehlen den Staatsanwaltschaften die erforderlichen Ressourcen für die Führung dieser aufwendigen Verfahren.

Wieso sollen sich Unternehmen selber anzeigen?

Sie haben grundsätzlich ein Interesse an einer Mithilfe. Jedes korrupte Unternehmen ist nämlich erpressbar und befindet sich in einem Teufelskreis. Es kann diesem nur entkommen, wenn es reinen Tisch macht über ein behördliches Urteil. Unternehmen müssen aber wissen, was sie erwartet, wenn sie auf die Behörden zugehen sollen. Sie brauchen Berechenbarkeit und Rechtssicherheit. Beides fehlt heute; die bisherige Behördenpraxis ist in wesentlichen Punkten uneinheitlich und unklar.

Sind Sie der Meinung, es müsste mehr Fälle geben?

Ganz klar. Wie ich bereits erwähnt habe, muss davon ausgegangen werden, dass die reale Delinquenz viel höher liegt. Die meisten fehlbaren Unternehmen werden also nicht strafrechtlich verfolgt. Aus rechtsstaatlichen und Präventivgesichtspunkten ist das unbefriedigend.

Bleiben dadurch Korruptions- und Geldwäschereifälle unentdeckt?

Korruption und Geldwäscherei finden im Verborgenen statt und sind grundsätzlich schwierig aufzudecken. Typischerweise gelingt die Aufdeckung über Whistleblower oder Verdachtsmeldungen an die Behörden, die Banken aufgrund des Geldwäschereigesetzes machen müssen. Für die Strafverfolgungsbehörden bedeutet dies, dass sie oftmals gar nicht vom Delikt erfahren und es ihnen also am Anfangsverdacht fehlt für die Eröffnung eines Verfahrens. Dies bildet ein weiterer Grund, weshalb nicht mehr Urteile gegen Unternehmen vorliegen. Es besteht aber der Eindruck, dass die Schweizer Staatsanwaltschaften selbst bei Verdacht auf Korruption und Geldwäscherei zu wenig aktiv werden gegen Unternehmen.

Ist es im Ausland einfacher für Unternehmen, bei begründetem Korruptions- und Geldwäschereiverdacht die Strafverfolgungsbehörden kontaktieren und mit ihnen zu kooperieren?

Andere Länder wie Frankreich und das Vereinigte Königreich sind der Schweiz bei der Regulierung voraus. Sie haben bessere Instrumente in Kraft, um fehlbare Unternehmen zu animieren, sich selbst anzuzeigen. So müsste auch die Schweiz die Möglichkeit schaffen, dass ein fehlbares Unternehmen unter strengen Voraussetzungen straffrei davonkommen könnte. Wesentliche Verbesserungen könnten aber bereits sehr niederschwellig erzielt werden, ohne dass der Gesetzgeber aktiv werden muss.

Wie soll das gehen?

Dafür müssten die Staatsanwaltschaften verbindliche und öffentlich zugängliche Wegleitungen zu ihrer Anwendungspraxis erlassen. Sie sollten in diesen Wegleitungen alle wichtigen prozeduralen und inhaltlichen Fragen klären, also welche Verfahrensarten wann zur Anwendung gelangen, wie lange die Verfahren dauern, inwieweit die Sanktionen gemildert werden und inwieweit die Öffentlichkeit informiert wird. So schaffen sie die erforderliche Berechenbarkeit und Rechtssicherheit, die Unternehmen brauchen, um proaktiv auf die Staatsanwaltschaften zuzugehen. Andere Schweizer Behörden haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit derartigen Wegleitungen. So hat die Wettbewerbskommission bereits seit langem entsprechende verbindliche Wegleitungen in Gebrauch. Dies hat dazu geführt, dass rund 90 Prozent der aufgedeckten Kartelle auf Selbstanzeigen an die Behörden zurückgehen.