Anti-Woke-Aktivismus
ESG ist böse, weil "woke". Jetzt kommt ein ETF auf den Markt, das den Spiess umdrehen will. Es heisst "God Bless America".
14. Juli 2022 • Beat Schmid

In der Welt der börsengehandelten Fonds (ETFs) gibt es ein neues Produkt. Es nennt sich God Bless America und soll unter dem Tickersymbol YALL gehandelt werden. Die Firma Tidal ETF Trust hat ein entsprechendes Gesuch bei der US-Börsenaufsicht SEC eingereicht. Die Macher wollen Unternehmen auszuschliessen, die ihrer Einschätzung nach “politischen Aktivismus” betreiben und eine “soziale Agenda” verfolgen, die auf Kosten der “Maximierung von Aktionärsrenditen” gingen.

God Bless America ist nicht das einzige Finanzprodukt, das genau das Gegenteil von ESG sein will, was für Umwelt, Soziales und Governance steht. In den USA ist eine Gegenbewegung zu Firmen und Finanzakteuren in Gang gekommen, die politische Projekte der progressiven Eliten unterstützen. Für US-Politiker wie Ted Cruz oder den Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, sind solche Firmen Vertreterinnen eines “woken Kapitalismus”.

In republikanisch regierten Bundesstaaten sind Gesetzesentwürfe in Arbeit oder zum Teil schon in Kraft, die von staatlichen Investoren wie Pensionskassen verlangen, finanziellen Zielen den Vorrang zu geben. Unternehmen auszuschliessen wegen ihres Exposures zur Erdölindustrie oder anderen heiklen Branchen soll dabei verboten werden.

Firmen ausschliessen, die sich politisch exponieren

Doch ganz so einfach ist das nicht. Richtig angewendet kann die Berücksichtigung von ESG-Kriterien bei Anlageentscheidungen dazu beitragen, Risiken und Chancen besser zu erkennen. Wer nur traditionelle Kriterien anwendet, übersieht möglicherweise gewisse Risiken. Allerdings bieten ESG-Ansätze nicht automatisch bessere Renditen und können diese schon gar nicht garantieren.

Mit ESG etikettierte Fonds hatten einen guten Lauf zu Beginn der Pandemie. Doch jetzt hat sich das Blatt gewendet. Etliche ESG-ETFs liegen bei der Performance derzeit deutlich hinter breit abgestützten Aktienindizes wie S&P 500 zurück. Allerdings, einige ETFs, die einen Fokus auf sogenannte Sündenaktien legen, schneiden noch schlechter ab, wie etwa der AdvisorShares Vice ETF, der Glücksspiel-, Alkohol- und verwandte Unternehmen enthält.

Wird God Bless America also ähnliche Probleme haben wie andere thematische Fonds, inklusive ESG? Gut möglich. God Bless America beabsichtigt, Unternehmen auszusortieren, die Pressemitteilungen zu "politisch brisanten" Themen wie "Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs" veröffentlichen. Ein Abschlussverfahren auf dieser Basis ist hochgradig subjektiv und wird mit grosser Wahrscheinlichkeit zu schlechten Performance-Ergebnissen führen.

Eine grosse Box-Ticking-Übung

Wird God Bless America also ähnliche Probleme haben wie andere thematische Fonds, inklusive ESG? Gut möglich. Das Produkt wird Unternehmen auszusortieren, die Pressemitteilungen zu "politisch brisanten" Themen wie "Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs" veröffentlichen. Ein solches Abschlussverfahren ist hochgradig subjektiv und wird deshalb mit grosser Wahrscheinlichkeit zu schlechten Performance-Ergebnissen führen.

Es ist im Kern etwa ähnlich subjektiv, wie wenn Investoren nur in Firmen investieren, die sie auf ihre "Tugendhaftigkeit" hin gescreent haben. Das Problem: Das ESG-Universum bietet unendlich viele Möglichkeiten, gewisse Firmen auszusortieren und andere zu bevorzugen.

Der Auswahlprozess gleicht deshalb oftmals einer grossen Box-Ticking-Übung. Es ist nicht immer klar, ob ein bestimmtes Anlagevehikel beispielsweise dem E, S oder G Priorität einräumt. Dadurch verschwimmen die Grenzen. Das erklärt, warum Tesla in einigen ESG-Fonds enthalten ist und in anderen nicht.

Es kann auch geschehen, dass die gleiche Firma sowohl in einem Sündenfonds als auch in einem Tugendfonds auftaucht. Grafikkartenspezialistin Nvidia beispielsweise wird im Vanguard ESG-ETF, aber auch im Vice EFT von AdvisorShares gehalten.

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