Parallelen zur Affäre Hildebrand
Laut einem bekannten Rechtsprofessor bezieht sich die Unabhängigkeit auf die «eigentliche Kernaufgabe» der Finma. Er vergleicht die Turbulenzen mit der Dollar-Affäre des ehemaligen SNB-Vizepräsidenten Philipp Hildebrand.
27. September 2023 • Beat Schmid

Bei der Finanzmarktaufsicht geht es drunter und drüber. Innerhalb kurzer Zeit haben mehrere hochrangige Mitarbeitende gekündigt. Kenner der Aufsichtsbehörde gehen davon aus, dass die Abgänge mit dem Führungsstil von Präsidentin Marlene Amstad zu tun haben. Auch die Kündigung von Direktor Urban Angehrn könnte diesen Hintergrund haben und nicht Druck in Zusammenhang mit der Credit Suisse.

Wie reagiert das zuständige Finanzdepartement auf die negative Entwicklung? Bundesrat setze sich für eine «starke und unabhängige Finanzmarktbehörde» ein und stehe deshalb in Kontakt mit dem Verwaltungsrat, sagte Bundesrätin Karin Keller-Sutter am Montag in der Tagesschau. Es scheint, als wolle die Regierung die Krise aussitzen.

Wege zur Abberufung der Präsidentin einzuleiten, scheint jedenfalls keine Option zu sein. Eine Abwahl stelle eine hohe Hürde dar, schreibt das Departement. Die Grundlage für eine Abberufung ist im Finanzmarktgesetz Finmag festgelegt. Dort heisst es: «Der Bundesrat beruft Mitglieder des Verwaltungsrats ab und genehmigt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Direktorin oder des Direktors durch den Verwaltungsrat, wenn die Voraussetzungen für die Ausübung des Amtes nicht mehr erfüllt sind.»

Eine Abwahl ist praktisch unmöglich

Das Departement weist darauf hin, dass begründet werden müsste, weshalb die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt seien. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn der Verwaltungsrat aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, sein Amt auszuüben. Ein anderer Grund wäre, wenn Marlene Amstadt plötzlich in den Verwaltungsrat einer Bank wechselt oder eine Beratungsfirma gründet. Dann wäre sie nicht mehr unabhängig, was eine Voraussetzung für das Amt ist.

Die Ansicht, dass es für den Bundesrat schwierig, wenn nicht unmöglich ist, die Präsidentin der Finma abzuberufen, wird von führenden Juristen geteilt. Die Finanzmarkt- und Governance-Expertin Monika Roth sagt, sie sehe das genauso, sonst sei der Willkür Tür und Tor geöffnet. Die Hürde sei gewollt, nicht zuletzt mit Blick auf die Unabhängigkeit der Finma.

Der Berner Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz sieht das grundsätzlich ähnlich, macht aber einen Unterschied. «Es gibt eine rechtliche und eine realistische Sicht der Dinge», sagt er. «Aus rechtlicher Sicht sind die Hürden für eine Abberufung von Frau Amstad als Verwaltungsratspräsidentin in der Tat hoch. Die Voraussetzungen für eine Abwahl sind sehr eng gefasst.»

Eine erzwungene Abberufung durch den Bundesrat werde es aber ohnehin nicht geben. Schon deshalb nicht, weil die Behörde derzeit keinen Direktor hat und mit einer Absetzung der Präsidentin weiter geschwächt würde. «Das wäre auch international ein verheerendes Signal», sagt er.

Ohne das Vertrauen des Bundesrats müsste sie zurücktreten

«Sollte der Bundesrat einen Wechsel an der Spitze anstreben, würde er anders vorgehen», sagt Kunz. Realistisch wäre, dass der Bundesrat Frau Amstad mitteilt, dass er das Vertrauen in sie verloren hat. «Dann wäre es für Frau Amstad praktisch unmöglich, ihr Amt weiterzuführen. Sie würde freiwillig zurücktreten.

Zum Argument der Unabhängigkeit sagt Kunz, es sei zwar richtig, dass die Finma ihre Tätigkeit unabhängig vom Bundesrat ausüben können müsse, doch beziehe sich diese Unabhängigkeit auf die «eigentliche Kernaufgabe» der Finma, nämlich die Aufsicht über die Finanzinstitute und deren Exponenten. Kunz: «Wenn aber eine Präsidentin ein Personalchaos anrichtet, dann ist ihr Verbleib im Amt nicht durch die gewährte Unabhängigkeit geschützt».

Er zieht Parallelen zur Affäre um Philipp Hildebrand, die vor über zehn Jahren ein politisches Erdbeben auslöste. Der damalige SNB-Vizepräsident war wegen Insiderhandelsvorwürfen massiv unter Druck geraten. Seine damalige Frau hatte im Vorfeld der Einführung des Euro-Mindestkurses über eine halbe Million Dollar gekauft. «Auch damals wurde lange argumentiert, die Politik könne nicht einschreiten, weil die Nationalbank unabhängig von der Politik sein müsse», sagt Kunz.

Es ging also nicht um die Kernaufgabe der SNB, die Geldpoltik, sondern um eine private Transaktion. Schliesslich trat Philipp Hildebrand «in Anbetracht der andauernden öffentlichen Debatte um diese Finanztransaktionen» zurück. Es gab sein Ehrenwort, dass seine Frau ohne sein Wissen die Devisentransaktion durchgeführt habe.

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