Interview
ResponsAbility ist Pionierin im Bereich Impact-Investments. Stephanie Bilo erklärt im Interview, warum trotz Krieg die Nachfrage nach Investitionsmöglichkeiten mit positivem Wirkungspotenzial gestiegen ist.
1. Dezember 2022 • Beat Schmid

Der Zürcher Impactinvestor ResponsAbility wurde 2003 gegründet und investierte bisher über 12 Milliarden Dollar in Entwicklungsprojekte und verwaltete Kundenvermögen von 3,6 Milliarden Dollar. Anfang 2022 wurde das von C&A-Erbe Stephen Brenninkmeijer mitgegründete Finanzunternehmen an den britischen Asset-Manager M&G verkauft. Stephanie Bilo ist Chief Client und Investment Solutions Officer und seit 2019 Mitglied der Geschäftsleitung.

Tippinpoint: Sie haben komplexe Finanzprodukte für grosse Finanzkonzerne wie J.P. Morgan und Morgan Stanley gebaut. Jetzt arbeiten Sie in einem vergleichsweise kleinen Pionierunternehmen, das bekannt wurde durch Impact-Investments in Entwicklungsländern. Wie kam es zu diesem Wechsel?

Stephanie Bilo: Ausschlaggebend waren zwei Elemente: Zum einen treibt mich die intellektuelle Neugier an, immer neue Dinge zu tun. Es macht mir Spass, jeden Tag etwas Neues zu lernen. Das andere sind die Werte, die ich leben und umsetzen möchte. Das kann ich in meinem Job bei ResponsAbility wunderbar vereinen. Aber lassen Sie mich betonen, das Wissen, wie komplexe Finanzprodukte strukturiert und verkauft werden, ist auch hier unabdingbar, insbesondere für sogenannte 'Blended Finance'-Fonds, also solchen bei denen die öffentliche Hand Risiko übernimmt, um Privatsektor-Investoren für Impact-Strategien zu mobilisieren.

Welche Werte meinen Sie?

Ich frage mich immer, was möchte ich mit einer Investition erreichen? Auch im Derivategeschäft habe ich mir diese Frage gestellt. Selbst da gibt es auch Bereiche, in denen der Nutzen offenkundig ist, zum Beispiel beim Hedging von Zinsen. Doch jetzt gehen die Fragen eindeutig weiter. Es geht um Investitionsmöglichkeiten mit dem Ziel, eine positive Wirkung in der realen Welt zu erzielen. Wir sind dabei sehr konkret, welche Ziele wir verfolgen: sei das in Bezug auf Soziales oder das Klima.

Bei ResponsAbility haben Sie vor allem Entwicklungsländer im Blick. Wo sehen Sie derzeit die spannendsten Impact-Märkte?

In Asien, wo gleichzeitig unser grösster Markt liegt. Der Kontinent bietet das attraktivste Risk-Return-Profil für Impact-Investments derzeit. Für Investoren ergeben sich spannende Perspektiven auf der finanziellen Seite, aber auch in Bezug auf das positive Wirkungspotenzial. Auch in Latein-Amerika gibt spannende Investitionsopportunitäten in spezifischen Bereichen.

Können Sie Beispiele nennen?

Immer stärker wird der Energiesektor, wo wir zum Beispiel dezentrale Solarpanel-Anlagen und Projekte zur Steigerung der Energieeffizienz finanzieren, um zukünftige CO₂-Emissionen zu reduzieren. Nach wie vor wichtig sind Projekte im Bereich der sogenannten finanziellen Inklusion. Traditionell spricht man von Mikrofinanzierung, heute beinhaltet das auch die Digitalisierung solcher Geschäftsmodelle und KMU-Finanzierungen. Aber auch Bereiche, in denen es um effiziente Lieferketten in der Ernährung geht.

Nachhaltige Ernährung war eines der Themen, das bei ResponsAbility von Anfang an weit oben auf der Prioritätenlisten stand. Wie wichtig ist das heute noch?

Seit den Ursprüngen vor 20 Jahren unterstützen wir Kleinbauern in Entwicklungsländern. Die sogenannten Smallholder Farmer sind auch heute noch ein grosses Thema für uns. Was man nicht vergessen darf: Die kleinen Bauernbetriebe bieten ein Auskommen für Hunderte Millionen Menschen. Und es ist auch so, dass 80 Prozent der Agrarflächen immer noch von Kleinbauern bewirtschaftet werden. Sie sind also wirklich wichtig, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.

Nachhaltige Ernährung wird auch bei vielen Konsumentinnen und Konsumenten zu einem immer wichtigeren Thema.

Auch wir schlüpfen vermehrt in die Rolle des Konsumenten und überlegen uns, wie eine nachhaltige Wertschöpfungskette aussehen könnte, da mehr als ein Drittel der weltweiten CO₂-Emissionen aus dem Food-System kommen.

Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit mit den Kleinbauern verändert?

In Asien investieren wir vor allem in die sogenannten Midstream- und Downstream-Märkte. Das heisst: Wir investieren nicht direkt in einen Kleinbauernbetrieb, sondern in Unternehmen, die mit Kleinbauern als Lieferanten zusammenarbeiten. Ausserdem investieren wir in die Schaffung effizienter Lieferketten, die Kleinbauern einschliessen und für sie effizienter sind. Wir setzen also beispielsweise bei der Logistik oder der Verarbeitung an.

Wie geht das konkret?

Zum Beispiel haben wir ein Unternehmen in Indien finanziert, das mit Kleinbauern zusammenarbeitet, und ihnen Qualitätsinput, also zum Beispiel Saatgut gibt und sie schult, biologisch anzubauen und sich dafür zertifizieren zu lassen. Wenn die Bauern dann die Ernte einholen, haben sie die Wahl, ob sie ihre Ernte dem Unternehmen zu einem guten Preis verkaufen wollen oder über andere Kanäle. Mit diesem Modell verdienen die Kleinbauern bis zu 30 Prozent mehr Einkommen. Damit Sie eine Vorstellung haben: Dieses Unternehmen arbeitet mit 80 Tausend Bauern zusammen.

Würden Sie in Gentech-Projekte investieren?

Technologie und Innovation sind in der Landwirtschaft und Ernährung wichtig, insbesondere um die Herausforderungen einer wachsenden Bevölkerung zu bewältigen, gesündere und nahrhaftere Lebensmittel bereitzustellen und dies auf nachhaltige Weise mit minimalen Auswirkungen auf das Klima zu tun. Und diese Herausforderungen sind besonders deutlich in Asien und Afrika, wo das Bevölkerungswachstum am grössten ist und wo die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft dramatisch sind. Der Sektor hat im Vergleich zu anderen nur langsam Veränderungen umgesetzt. In den letzten fünf Jahren haben wir jedoch einen dramatischen Wandel mit einem enormen Anstieg des investierten Venture Capital erlebt, vor allem in Europa und Amerika. Wir sehen weltweit immer mehr spannende Firmen im sogenannten Agtech-Bereich (Agricultural Technology), die an verschiedensten Lösungen für die Herausforderungen in der nachhaltigen Ernährung arbeiten.

Der Krieg in der Ukraine hat die Finanzmärkte auf Talfahrt geschickt. Die Asset-Management-Branche leidet unter Mittelabzügen von Investoren. Wie stark ist Ihr Geschäft betroffen?

Klar, auch bei uns haben gewisse Investoren zum Teil Gelder abgezogen, öfters, weil sie ihre Portfolios ausbalancieren mussten. Die Rücknahmen sind jedoch klein im Vergleich zu den Commitments, die wir für neue Fonds bekommen. Als Reaktion auf den Krieg stellen wir aber auch fest, dass institutionelle Anleger auf uns zukommen und zum Beispiel in Nahrungsmittelsicherheit investieren wollen.
Stephanie Bilo
Die Ostschweizerin ist Chief Client Officer und Verantwortliche für Anlageprodukte bei ResponsAbility. Seit 2019 ist sie Mitglied der Geschäftsleitung. Die promovierte Finanzwissenschaftlerin ist verantwortlich für die Teams Private Debt, Vertrieb- und Produktentwicklung sowie für Marketing und Kommunikation. Sie hat über 20 Jahre Erfahrung im Bank- und Finanzwesen. Bevor sie zum Impact-Investor kam, strukturierte sie unter anderem Derivate für Finanzkonzerne wie J.P. Morgan und Morgan Stanley.

ResponsAbility gehört seit diesem Jahr einem grossen britischen Asset-Manager. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit M&G?

Ich bin sehr glücklich über die Zusammenarbeit. Wir haben ein tolles Momentum mit unserem Shareholder. Ich gehe davon aus, dass wir schon bald Engagements von Seiten M&G kommunizieren können.

Der Umstand, dass responsAbility an einen britischen Asset-Manager verkauft wurde, kann auch als Zeichen der Schwäche für die hiesige Sustainable-Finance-Szene gesehen werden. Wie sehen Sie das? Hat die Schweiz ihre Vorreiterrolle verloren?

Ich glaube nicht, dass die Schweiz verloren hat. Erstens belässt M&G ResponsAbility unabhängig in der Schweiz. Zweitens haben die Schweizer Banken, gerade auch die Grossbanken und Versicherer sehr viel Personal aufgestockt und in Spezialisten investiert, die an Nachhaltigkeitslösungen arbeiten. Viele der Pensionskassen in der Schweiz erleben wir allerdings etwas zögerlicher.

Wie äussert sich das?

Ich habe oft erlebt, dass Schweizer Institutionelle erst bereit sind, zu investieren, wenn wir ihnen sagen, dass gerade beispielsweise die grösste Pensionskasse von Schweden für soundsoviele Millionen investiert hat. Da Nachhaltigkeit insbesondere für die nächste Generation immer selbstverständlicher wird, glauben wir aber, dass sich auch bei den Schweizer Pensionskassen einiges tun wird in Bezug auf nachhaltige oder wirkungsorientierte Investitionen.