Das Gericht nimmt sich viel Zeit
Die übliche Frist von drei Monaten bis zur Bekanntgabe des schriftlichen Urteils ist längst verstrichen. Auch mit einer anderen Pendenz tut sich das Zürcher Bezirksgericht schwer.
5. September 2022 • Beat Schmid

Eigentlich sollte das schriftliche Urteil im Fall von Pierin Vincenz, Beat Stocker und weiteren Beschuldigten bereits vorliegen. Der vorsitzende Richter Sebastian Aeppli sagte am Schluss der mündlichen Urteilseröffnung, dass das schriftliche Urteil den Parteien “im Laufe des Sommers” zugestellt werde. Das war am 13. April 2022.

Seither sind fast fünf Monate ins Land gegangen, und das Urteil ist immer noch nicht fertig geschrieben, wie eine Sprecherin auf Anfrage von Tippinpoint bestätigt. Sie sagt, es sei schon immer die Rede von “Sommer oder Spätsommer” gewesen. Spätsommer, das wäre jetzt, und er dauert nicht mehr lange. Am 23. September ist schon offiziell Herbstanfang. Bis dann, spätestens und wenn man ihre Worte auf die Goldwaage legt, müsste also der 500-Seiten-Wälzer geschrieben sein.

Normalerweise sollten Richter ihre schriftlichen Urteile binnen maximal drei Monaten verfassen und an die Prozessparteien weitergeben. So hält es die schweizerische Strafprozessordnung fest. “Müsse das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahms­weise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu”, lautet der entsprechende Passus.

Trödeln hat keine Konsequenzen für die Richter

Die Gerichte können es sich leisten, die sogenannte Ordnungsfrist zu strapazieren. Die Fristen sind zwar so festgeschrieben, aber einer Richterin, einem Richter drohen keine Konsequenzen, wenn sie sich nicht daran hält.

Warum es so lange dauert, darüber hüllt sich das Bezirksgericht in Schweigen. Der Fall sei komplex, heisst es beim Gericht. Mutmasslich nehmen sich die Richter auch deshalb so viel Zeit, weil sie genau wissen, dass die Gegenparteien, also die Anwälte von Pierin Vincenz und Beat Stocker, jedes Komma der schriftlichen Fassung auseinandernehmen werden. Die Schrift wird ein Fest für die beiden Strafverteidiger Lorenz Erni und Andreas Blattmann.

Die Verschriftlichung des Urteils ist nicht die einzige Pendenz, mit der sich die Richter offenbar schwertun. Als Teil des Urteils müssen sie auch einen sogenannten Beschluss fassen, aus welchen Finanzquellen die verschiedenen Schadenersatzforderungen bezahlt werden sollen. Ob aus Bargeldbeständen, aus Depotvermögen, Immobilien, Autos, Gold etc. Dieser Beschluss ist weiterhin pendent, wie aus Juristenkreisen zu hören ist.

Millionenforderungen für Vincenz und Stocker

Viel Aufwand sollte diese Auflistung nicht machen. Im Rahmen des Strafverfahrens wurde ein umfassendes Inventar der Vermögenswerte der Beschuldigten erstellt. Die Vermögen sind weiterhin gesperrt. Zu diesem Beschluss will sich die Sprecherin des Gerichts nicht äussern.

Gemäss Urteil vom Frühling muss Vincenz der Raiffeisen 400’000 Franken für ungerechtfertigte Spesen zurückzahlen. Der Aduno müssen Vincenz und Stocker allein für den Commtrain-Schattendeal 4 Millionen Franken inklusive Zinsen zurückzahlen.

Weitere Forderungen könnten auf die beiden in separaten Schadenersatzprozessen zukommen. Gemäss einer Auflistung der Staatsanwaltschaft belaufen sich die Forderungen allein für Vincenz auf 9,6 Millionen Franken, Zinsen eingerechnet.

Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und ein Kompagnon Beat Stocker wurden im April wegen Betrugs, des versuchten Betrugs, der Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung zu unbedingten Freiheitsstrafen verurteilt. Vincenz muss für 3 Jahre und 9 Monaten hinter Gitter. Zusätzlich muss er eine bedingte Geldstrafe von 280 Tagessätzen zu 3000 Franken zahlen.

Zur Kasse gegeben werden Vincenz und Stocker erst, wenn die Urteile rechtskräftig sind. Bis ein solches Urteil vorliegt, kann es noch Jahre dauern.

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