Gastkommentar
Wenn ESG-Ziele in Vergütungsmodelle einbezogen werden, kann sich dies positiv auf die Nachhaltigkeitsaktivitäten von Unternehmen auswirken. Bei der Implementierung ist allerdings Fingerspitzengefühl erforderlich.
10. August 2022 • Claudia Würstle

Investoren, Rating-Agenturen, Stimmrechtsberater, Mitarbeitende, Regierungen und Behörden sowie weitere Anspruchsgruppen verlangen von Unternehmen mit immer grösserer Vehemenz, sich nicht nur um Umsätze und Gewinne zu kümmern, sondern ihre gesamte Geschäftstätigkeit am Grundsatz der Nachhaltigkeit zu orientieren. Entsprechend richten Unternehmen ihr Geschäftsmodell zunehmend auch an ESG-Kriterien aus (Environment, Social, Governance – Umwelt, Soziales, Unternehmensführung).

Damit solche ESG-Aktivitäten in der Unternehmensstrategie möglichst rasch und wirksam implementiert werden, sollten auch die Vergütungsmodelle der Führungskräfte entsprechende Kriterien beinhalten. Damit wird ihre Vergütung (konkret: der variable Anteil oder Bonus) nicht mehr ausschliesslich durch das Erreichen von finanziellen Zielen bestimmt.

Es ist allerdings ratsam, bei der Integration von ESG-Zielen in Vergütungsplänen achtsam zu sein. Denn dabei treten häufig Zielkonflikte auf. Ein Beispiel: Investitionen in eine CO2-ärmere Produktionsanlage schmälern zunächst den Gewinn. Und weil der Jahresgewinn in der Regel eine wichtige Grösse zur Bestimmung der Boni ist, wirkt sich die langfristig ausgerichtete Investition in eine nachhaltigere Produktion kurzfristig negativ auf die Höhe der Vergütung aus.

Relevante ESG-Themen definieren

Wie geht man also mit diesen Zielkonflikten um? Als erstes gilt es, die für das jeweilige Unternehmen tatsächlich relevanten ESG-Themen zu bestimmen und in einer sogenannten Materialitäts-Matrix darzustellen. Anschliessend muss die Diskussion geführt werden, welche dieser Themen auch für die Vergütung eine Rolle spielen soll. Diese Reduktion auf wenige, aber strategisch relevante Zielgrössen ist essenziell, denn ein Vergütungsmodell entfaltet seine Wirkung nur dann, wenn es fokussiert ist.

Im zweiten Schritt werden die relevanten Kriterien im Vergütungssystem integriert. Viele Unternehmen aus der Schweiz und auch weltweit versehen dafür die als wichtig erachteten ESG-Faktoren mit quantitativen Zielgrössen. Im Sinne einer direkten Ursache-Wirkungs-Beziehung kann dies eine geeignete Lösung sein, allerdings werden dadurch die Vergütungsmodelle oft komplex und somit weniger wirksam.

Andere Unternehmen orientieren sich an quantifizierbaren Kosten, typischerweise CO2-Kosten. Diese können mittels internem Carbon Pricing ermittelt werden. Diese Methode ist einfach und transparent, berücksichtigt aber soziale Ziele oder Kriterien der guten Unternehmensführung zu wenig – schliesslich können für diese kaum korrekt «Preise» gesetzt werden.

Qualitative Gesamtbeurteilung und Erreichen von Schwellenwerten

Um die Performance noch besser im Vergütungsmodell zu reflektieren und gleichzeitig die angesprochenen Zielkonflikte möglichst zu vermeiden, gehen Unternehmen in der Schweiz deshalb zunehmend dazu über, ESG-Faktoren in Form einer Gesamtbeurteilung durch den Verwaltungsrat in das Vergütungsmodell einfliessen zu lassen. Dabei werden auch qualitative Aspekte berücksichtigt. Zum Beispiel werden strategisch relevante ESG-Themen definiert, die mit konkreten Kriterien unterlegt werden, aber keiner Gewichtung unterliegen.

Ein weiterer "einfacher" Lösungsansatz besteht darin, ESG-Kriterien als Schwellenwert (Mindestanforderung) zu definieren. Zum Beispiel: CO2-Reduktion von X% im Geschäftsjahr über das gesamte Unternehmen hinweg oder Rückgang von Produktionsabfall um X% bis in zwei Jahren. Dieser Ansatz stellt ausserdem sicher, dass die Diskussion über Zielkonflikte zwischen ESG und finanzieller Performance auf der strategischen Unternehmensebene geführt wird.

Langfristig nachhaltigere Geschäftstätigkeit

Erfahrungsgemäss lösen diese beiden Ansätze die heikle Frage der Zielkonflikte am besten. Zudem ermöglichen sie eine umfassende Auseinandersetzung von Aktionären, Verwaltungsrat und Führungskräften mit den eigenen ESG-Ambitionen. Auf diese Weise kann die Implementierung von ESG-Themen im Vergütungsplan Unternehmen unterstützen, auch langfristig Fortschritte bei ihrer ESG-Strategie und deren Umsetzung zu erreichen.

Die Autorin
Claudia Würstle ist Senior Managerin bei HCM International und Projektleiterin für Nachhaltigkeit und ESG-Strategien. Als Expertin für Governance und Vergütung berät sie private und börsennotierte Kunden in Bezug auf Vergütungsgrundsätze, -gestaltung und -umsetzung, sowohl national als auch international. Claudia hat einen M.A. in Business Management von der Universität St. Gallen und einen B.A. in Management und Recht von der EBS Universität in Deutschland.