Interview zum Earth Day
Christopher Wellise, Sustainability-Chef des weltgrössten Cloud-Anbieters AWS, über den gigantischen Strombedarf von Rechenzentren und über die spannendsten Entwicklungen bei der Produktion von erneuerbaren Energien.
22. April 2022 • Beat Schmid

Mit einem Marktanteil von etwa 40 Prozent ist AWS der weltweit grösste Anbieter von Cloud-Dienstleistungen. Die 2006 als Tochtergesellschaft von Amazon gegründete Firma erzielt einen Umsatz von über 40 Milliarden Dollar. Bis 2025 will das Unternehmen sämtlichen Strom aus erneuerbaren Quellen beziehen. Zu den vielversprechendsten Technologien zählt für ihn grüner Wasserstoff, wie er im Interview sagt.

Christopher Wellise, AWS hat ein Werkzeug entwickelt, das sogenannte Customer Carbon Footprint Tool, mit dem ihren Kunden den IT-Fussabdruck messen können. Interessiert das die Kunden?

Wir stellten fest, dass die Nachfrage für Sustainability-Daten in den letzten zwei Jahren stark gewachsen ist. Unsere Kunden können auf der AWS Management Console ihren CO₂-Fussabdruck auf einen Blick kontrollieren.

Gerade für grössere Firmen wird es in den nächsten Jahren zu einem Muss, die Emissionen ihrer Lieferkette zu erfassen.

Das stimmt, mit dem Tool können sie die sogenannten Scope-3-Emissionen erheben, also jenen Teil ihres CO₂-Ausstosses, den sie über die Lieferkette generieren. Unsere Kunden können ihren Fussabdruck monatlich, quartalsweise oder jährlich auswerten. Wir als Dienstleistungsanbieter wiederum nutzen dieses Tool, um unseren eigenen Ausstoss auf den Stufen Scope 1 und 2 zu erfassen.

Können die Kunden diese Daten nutzen, um rechtlich verbindliche Sustainability-Reports zu erstellen?

Ja, die Erhebungsmethode erfolgt gemäss GHG-Regeln. Noch ist das CO₂-Reporting weltweit meist freiwillig. Doch es gehört zunehmend zu den Best Practices von grösseren Unternehmen. Aber auch kleinere Firmen interessieren sich dafür, selbst wenn es für sie wohl nie eine Reportingpflicht gibt. Auf Interesse stösst auch die Möglichkeit, mit dem Tool eine Prognose der Emissionen erstellen zu können.

Warum ist das wichtig?

Amazon ist der weltweit grösste Einkäufer von erneuerbaren Energien. Insgesamt sind es 12 Gigawatt. Weil wir uns das Ziel gesetzt haben, den Anteil der Erneuerbaren auf 100 Prozent auszubauen, ist es elementar, Prognosen für den künftigen Bedarf erstellen zu können. Auch für die Kunden ist es spannend, die künftigen CO2-Reduktionen im Blick zu haben.

Datacenter verbrauchen sehr viel Strom. Man geht davon aus, dass ein Prozent der weltweiten Stromproduktion von Rechenzentren verbraucht wird. Was macht AWS, um diesen Verbrauch zu senken?

Zunächst muss man festhalten, dass die Prognosen vor zehn Jahren einen viel grösseren Stromverbrauch vorausgesagt hatten. In den vergangenen Jahren wurde viel unternommen, um die Kurve möglichst flach zu halten. Wir bei AWS achten zum Beispiel darauf, dass wir bereits beim Bau eines neuen Datencenters Materialien mit einem tiefen CO₂-Fussabdruck verbauen, wie etwa emissionsarmem Beton oder Stahl. Die grössten Effizienzgewinne lassen sich jedoch direkt durch die Cloud-Architektur selbst erzielen.
Cloud und Stromverbrauch
Obwohl Rechenzentren immer energieeffizienter werden, verbrauchen sie immer mehr Strom. In der EU sind es bereits 2,7 Prozent der gesamten Stromproduktion. Zentrale Cloud-Lösungen gelten im Allgemeinen als effizienter als lokale Rechenzentren. Gemäss einer Studie von 451 Research, die zu S&P Global Market Intelligence gehört, sind AWS-Cloud-Lösungen drei- bis fünfmal energieeffizienter als der Durchschnitt der untersuchten Rechenzentren in der EU. "Wir schätzen, dass Kunden, die ihre IT in der Cloud haben, rund dreimal weniger CO₂ verbrauchen, als wenn sie eigene Server betreiben würden", sagt Wellise.

Welche Entwicklungen erwarten Sie bei den IT-Systemen? Wie bringt sich AWS ein, damit die Hersteller effizientere Geräte bauen?

Wir sind in Kontakt mit unseren Ausrüstern und versuchen gemeinsam nach Lösungen, die Computer- und Netzwerkarchitekturen so effizient wie möglich zu bauen. Das spannendste Gebiet in diesem Zusammenhang ist für mich, die Lebensdauer der Systeme zu verlängern. Wenn Sie die Einsatzdauer eines Servers verlängern, steigert das automatisch die Effizienz.

AWS will bis 2030 100 Prozent des Stroms von erneuerbaren Energiequellen beziehen. Dieses Ziel wurde kürzlich auf 2025 gesenkt. Ist das immer noch der Plan?

Wir beobachten die Situation weiterhin sehr genau. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu Spekulationen nicht äussern können.

Welche erneuerbaren Energiequellen sind für Sie die vielversprechendsten?

Ich persönlich finde die Entwicklungen um grünen Wasserstoff hoch spannend. Wenn es uns gelingt, nachhaltigen Wasserstoff wirtschaftlich zu produzieren, wäre das ein Durchbruch. Viel Potenzial sehe ich auch in der Speicherung von Strom. Bei AWS setzen wir auf einen Mix von Wind und Solar. Weil die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer bläst, ist es sinnvoll, die beiden Techniken zu kombinieren.

Was macht ein Chief Sustainability Officer eigentlich, wenn AWS tatsächlich ab 2025 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen bezieht. Gibt es dann noch Arbeit für Sie?

Ja, so schnell geht mir die Arbeit nicht aus. Bis 2025 wollen wir zwar den gesamten Strom von erneuerbaren Quellen beziehen, doch unser Netto-Null-Ziel streben wir für das Jahr 2040 an. Bis dahin gibt es noch einiges zu tun. Ein persönliches Ziel von mir ist es, dass wir in unserem Unternehmen dereinst ganz viele Mini-CSOs (Chief Sustainability Officers, Red) haben werden, die sich für eine nachhaltige Zukunft einsetzen.
Scope 1 bis 3
Scope-1-Emissionen stammen direkt aus dem Betrieb eines Unternehmens, wie zu Beispiel das Benzin, das von der Lieferflotte eines Unternehmens verbraucht wird. Scope-2-Emissionen stammen aus der Erzeugung von eingekaufter Energie, z. B. dem Strom, der für den Betrieb der Fabriken eines Unternehmens verwendet wird. Scope-3-Emissionen umfassen alle anderen Aktivitäten, die ausserhalb der direkten Geschäftstätigkeit eines Unternehmens stattfinden, z. B. die Herstellung von Verpackungen und Produkten.